taz-Serie Schillerkiez: "Ein zweites Kreuzberg hinstellen"
Das Tempelhofer Feld sollte weitgehend mit Wohnungen zugebaut werden, fordert der Ökonom Kristof Dascher. Das würde die Gentrifizierung bremsen.
taz: Herr Dascher, wann waren Sie zuletzt auf dem Tempelhofer Feld?
Kristof Dascher: Das ist schon länger her. Vor gut einem Jahr?
Es hat Ihnen dort nicht gefallen?
Doch. Aber ich habe nicht genügend Zeit, dorthin zu gehen.
Welchen Spirit haben Sie dort gespürt?
Es ist ein interessanter Ort, eine so große Fläche innerhalb der Stadt hat Seltenheitswert. Es gibt keine Bäume, man kann weit schauen.
Und das wollen Sie den Berlinern wieder nehmen.
Es ist einfach so, dass der Vorteil des Parks mit vielen Nachteilen einhergeht, die man sich so nicht bewusst macht.
Welche Nachteile denn?
Als Ökonom interessiere ich mich für die Ökonomie von Städten. Und da gibt es den deutschen Wirtschaftsgeografen Johann Heinrich von Thünen, der schon im 19. Jahrhundert argumentiert hat, dass sich ein Standortvorteil in der Stadt niederschlägt in steigenden Mieten. Das zeigt sich zum Beispiel im Neuköllner Schillerkiez, der unmittelbar ans Tempelhofer Feld grenzt.
Kristof Dascher, 45, ist seit 2009 Professor für Ökonomie am Touro College in Charlottenburg. Einer seiner Schwerpunkte ist Stadtökonomie. Im Oldenbourg-Verlag ist sein Buch "Volkswirtschaftslehre. Eine Einführung in Bausteinen" erschienen.
Berlin wächst, und das immer schneller. Einer neuen Bevölkerungsprognose zufolge soll die Stadt bis 2030 250.000 neue Bewohner haben. Experten halten deshalb den Neubau von 150.000 Wohnungen für nötig. In dieser Legislaturperiode will der Senat 30.000 Wohnungen bauen.
Auf dem Tempelhofer Feld sollen 4.650 Wohnungen entstehen, zudem Gewerbeflächen für mehr als 7.000 Arbeitsplätze. Von den bestehenden 303 Hektar sollen 95 Hektar versiegelt werden.
Eine Empirica-Studie im Auftrag des Senats hält diese Planung für sinnvoll. Eine innerstädtische Bebauung brächte Berlin in den kommenden 50 Jahren finanzwerte Vorteile in Höhe von 298 Millionen Euro. Die Studie wird heute offiziell vorgestellt.
Die Initiative 100 Prozent Tempelhof startet demnächst ein Volksbegehren. Sie will verhindern, dass überhaupt auf dem Feld gebaut wird. (taz)
Aber gerade die Bewohner der angrenzenden Gebiete sind vehemente Befürworter der Initiative „100 Prozent Tempelhof“, die eben keine Bebauung will. Erkennen die ihre gefährliche Lage angesichts der Mietpreise nicht?
Ja, vielleicht erkennen sie die nicht. Und ich weiß nicht, ob die Unterstützung des Parks auch bei den angestammten Bewohnern dort wirklich so groß ist. Bei der Volksabstimmung über die Schließung des Flughafens Tempelhof gab es in der Umgebung ja eine Mehrheit für den Weiterbetrieb. Dass die neu hinzuziehenden Anwohner für den Park sind, das ist klar. Sonst würden viele von ihnen ja gar nicht kommen. Sie verursachen Verdrängungsprozesse.
Ihre Lösung ist, das Tempelhofer Feld zu zwei Dritteln zu bebauen und 100.000 Wohnungen zu errichten. Was hätten die Bewohner, die von Gentrifizierung bedroht sind, davon?
Wenn die Berliner beschließen, den Park einzutauschen gegen eine weitgehende Wohnbebauung, dann verlieren die Anwohner in der Summe nichts: Ihre Mieten bleiben niedriger. Denn die Gewinner des Parks sind auch auf mittlere Frist nur die Immobilienbesitzer, deren Wohnungen etwa in der Oderstraße wertvoller und wertvoller werden. Die Allgemeinheit hat davon nichts.
Woher nehmen Sie die Sicherheit, dass die Bebauung des Parks die Mietpreise sinken lässt?
Wenn der Park die Mieten steigen lässt, dann ist es doch nur logisch, dass seine Bebauung, also das Fehlen des Parks, dies nicht zur Folge hat.
Das gilt aber doch nur, wenn die Mieten auf dem Parkgelände höchstens so hoch sind wie in den umliegenden Vierteln – sonst werden doch die Mieten dort hochgezogen.
Ich glaube, es handelt sich hier um einen Konflikt, der in der gesamten Stadt existiert: Mieter gegen Vermieter. Das ist in vielen Städten so, auch in London und New York. Da geht es um den Streit: Wird Neubebauung zugelassen? Es gibt eine große angelsächsische Tradition, Neubebauung zu verhindern. Und zwar mit Hinweis auf die Natur – in London gibt es den Green Belt, in New York auch das Urban Gardening. Dahinter stecken die Partikularinteressen der Wohnungsbesitzer, der Vermieter. Jeder Vermieter in Berlin müsste gegen die Bebauung des Feldes sein …
… weil dies Ihrer Ansicht nach die Mieten in der Stadt senken würde.
Wenn das Feld massiv und dicht bebaut wird, würde das das Mietniveau in der gesamten Stadt beeinflussen. Das kann der Vermieter im Kreuzberger Bergmannkiez genauso wenig wollen wie der Vermieter im Schillerkiez. Er muss befürchten, dass ihm die Mieter wegziehen – zumal, wenn es sich um architektonisch ansprechende Viertel handelt. Von einer Bebauung würden alle in Berlin profitieren – außer die Vermieter!
Zwischen Flughafen Tempelhof und Hermannstraße in Neukölln liegt der Schillerkiez. Lange galt das Viertel am Rande des Flugfelds als Armeleutegegend. Menschen aus vielen Nationen leben hier, mehr als 40 Prozent sind arbeitslos, der Kiez hat die höchste Bevölkerungsdichte von Neukölln.
Doch spätestens seit der Stilllegung des Flughafens 2008 ist aus dem innerstädtischen Viertel ein Quartier mit Potenzial für Investoren geworden. Seit Mai 2010 ist die 386 Hektar große Freifläche ein Park; es sollen Gewerbebetriebe entstehen und neue Wohnquartiere für die obere Mittelschicht.
Droht dem Schillerkiez nun also eine Welle von Aufwertung und Mietsteigerungen, wie sie weite Teile von Prenzlauer Berg und Kreuzberg bereits erlebt haben? Sind die Studierenden und Künstler, die ins Viertel strömen, Vorboten einer Entwicklung, die in Friedrichshain und Mitte schon an ihrem Ende angekommen ist? Wird das Arbeiterviertel gentrifiziert - oder wird es bei ein paar Townhouses am Parkrand bleiben?
Sicher ist nur eins: Der Schillerkiez wird sich verändern. Wer davon wie stark profitiert, wird man sehen. Die taz beobachtet diese Veränderungen seit Mai 2010. Bereits erschienene Texte stehen unter: www.taz.de/schillerkiez
Das ist Marktgläubigkeit pur!
Es ist ein ganz einfaches Modell. Und für mich ist – aus einer gesamtstädtischen Perspektive – völlig klar: Es sollte bebaut werden.
Immerhin sorgt das freie Feld für ein besseres Klima in immer heißer werdenden Sommern: Die heiße Luft kann sich da abkühlen.
Für Berlin ist es besser – da fällt die Temperatur ein bisschen. Aber global gesehen ist es nicht besser. Da wäre es sinnvoller, wenn wir die Wohnflächen verdichten würden. Das Feld ist perfekt an den öffentlichen Nahverkehr angebunden, die Bewohner der neuen Wohnungen müssten nicht in die Stadt pendeln, es würde weniger Auto gefahren. Das spart massig Kohlendioxid.
Reichen denn die 100.000 Wohnungen – das entspricht etwa fünf Prozent des Wohnungsbestands der Stadt –, um die Mieten derart zu beeinflussen? Schließlich gehen viele Studien von einem weiteren Wachstum Berlins aus.
Das ist eine gute Frage. Es wird sicherlich nicht die Mieten steigen lassen. Und wir hätten die Chance, etwas Neues zu gestalten, jene Urbanität zu gestalten, die wir alle schätzen und suchen – also etwa Kreuzberg. Bei Städten geht es ja um Verdichtung, um Spezialisierung, um Subkulturen. Das geht nur, weil Berlin groß ist.
Sie argumentieren mit dem sogenannten Sickereffekt – dass jene Leute, die in eine teure Neubauwohnung ziehen, eine billige freimachen. Das ist aber bisher nicht belegt. Meist steigen die Preise der preiswerteren Wohnung bei Neuvermietung deutlich.
Das sind jetzt die Niederungen des Mietrechts. Ich sehe hier eine Möglichkeit, den Mietanstieg zu bremsen. Und ich glaube, dass so ein massives neues Angebot einen Effekt hat.
Aber durchgerechnet haben Sie das noch nicht?
Nein. Sie können natürlich eine Unterfütterung durch eine konkrete Kosten-Nutzen-Analyse starten. Es gibt eine Studie der Firma empirica, die dies gegenwärtig auch tut [siehe auch Kasten, d. Red.]. Aber das Besondere hier ist, dass meiner Ansicht nach auch ohne eine solche Analyse die Vorteile der Bebauung klar überwiegen.
Wer soll Ihrer Ansicht nach bauen?
Die Grundstücke sollen nicht verkauft, sondern verpachtet werden; private Investoren sollen dafür auch relativ saftige Preise zahlen. Die Einnahmen daraus können – nach grobem Überschlagen – mehrere hundert Millionen Euro im Jahr betragen. Geld, dass man durchaus zweckgebunden verwenden könnte, über dessen Verwendung gerne die Bürger abstimmen dürften. Man könnte sie zum Beispiel für die Subventionierung von Sozialwohnungen auf dem Feld nutzen.
Die aktuelle Diskussion über die geplanten 5.000 Wohnungen auf dem Feld geht in eine andere Richtung: Hier sollen die landeseigenen Gesellschaften bauen.
Das ist auch in Ordnung. Wie das im Detail gemacht würde, ist völlig offen! Auch was man da hinstellt: sozialer Wohnungsbau mit spektakulärer Architektur, wie die Holländer es vormachen. Oder Lofts. Man könnte Vorteile dadurch haben, dass man sozial Schwache da wohnen lässt, oder den Gentrifizierungshaushalten für teure Wohnungen ordentlich Geld abnimmt.
Die Gentrifizierung in der Innenstadt läuft rasend schnell. Kommt eine Bebauung des Feldes wie Sie sie vorschlagen, überhaupt noch rechtzeitig, um die Folgen zu mildern? In Neukölln sind die Preise bei Neuvermietung innerhalb von drei Jahren um 30 Prozent gestiegen.
Ich sage ja nicht, dass die Bebauung alle innerstädtischen Probleme löst.
Die nächste Frage wäre dann: Was wird denn als nächstes zugebaut? Der Tiergarten? Der Viktoriapark?
Das Tempelhofer Feld war kein Park, sondern ein Rollfeld. Beim Viktoriapark würden da Denkmalschutzaspekte dem entgegensprechen.
Kleingartenkolonien?
Da gibt es ja schon Beispiele dafür.
Würden Sie auf das Feld ziehen, wenn es so bebaut würde, wie Sie vorschlagen?
Ich wohne in Kreuzberg. Und einer meiner Ausgangspunkte war: Warum kann man nicht ein zweites Kreuzberg da hinstellen? Und alle wollen nach Kreuzberg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland