taz-Serie Ökonomie der Flucht: Container statt Eigenheim
Eigentlich müsste die Bau- und Immobilienwirtschaft von der Zuwanderung profitieren. Doch die Politik setzt zu sehr auf Provisorien.
„Wir gehen davon aus, dass die Miete immer pünktlich gezahlt wird“, sagt die Eigentümerin. Wie viele Menschen, die mit Flüchtlingen Geld verdienen, möchte sie nicht namentlich genannt werden.
Nicht nur in Arolsen, auch in anderen Regionen abseits der attraktiven Ballungszentren gibt es in Deutschland etliche freie Wohnungen. „Durch den Zuzug der Flüchtlinge ist die Chance gestiegen, leer stehende Wohnungen zu vermieten“, sagt Alexander Wiech vom Eigentümerverband Haus & Grund. Zahlen hat der Verband nicht, aber festgestellt: Immer mehr Mitglieder bitten um Unterstützung bei der Vermittlung von Kontakten zu Kommunen. Für private Vermieter ist es besonders attraktiv, wenn eine Kommune oder wie im Fall Arolsen ein Wohlfahrtsverband Vertragspartner ist. „Das gibt Sicherheit“, sagt Wiech.
Flüchtlinge werden nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Länder verteilt, der sich nach der Einwohnerzahl und nicht nach den zur Verfügung stehenden Wohnungen richtet. Das ist ein Problem, denn gerade in Ballungsgebieten wie Berlin, Köln oder München haben Vermieter keine Schwierigkeiten, Wohnungen zu belegen. Im Gegenteil.
Das führt dort zum Teil zu aberwitzigen Miethöhen. Hochkonjunktur haben auch Abzocker, die für zu viel Geld Bruchbuden vermieten.
Container reichen nicht
Es rächt sich, dass der soziale Wohnungsbau jahrelang nahezu brach gelegen hat. Staat und private Investoren gingen davon aus, dass aufgrund der Bevölkerungsentwicklung eher weniger Wohnraum nachgefragt wird. Nach Schätzungen etwa von Kommunalverbänden werden aber bis zum Jahr 2020 jährlich 400.000 neue Wohnungen benötigt. „Davon entfallen circa 100.000 Wohneinheiten auf die unterschätzte Entwicklung bei der Zuwanderung und circa 50.000 auf den Nachholbedarf infolge der Unterproduktion der letzten Jahre“, sagt Hans-Hartwig Loewenstein, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes.
Im Jahr 2016 sollen laut Bauwirtschaft, 290.000 Wohnungen fertiggestellt werden, 2015 waren es 260.000. Das wäre ein Umsatzwachstum von 5 Prozent auf 38,4 Milliarden Euro. Ein „Dreiviertelprozentpunkt“ geht nach Loewensteins Schätzungen auf Investitionen aufgrund des Flüchtingszuzugs zurück. Auch der Umbau von Gebäuden werde „wieder mehr Impulse“ bekommen.
Doch das wird nicht reichen, ist Loewenstein überzeugt. „Es passiert zu wenig“, sagt er. Zwar hat der Bund mit Blick auf die Neuangekommenen die Mittel für den sozialen Wohnungsbau für vier Jahre auf jeweils eine Milliarde Euro jährlich verdoppelt. Aber das hält Loewenstein für zu wenig. Wie auch die Kommunen: Sie fordern mindestens 2 Milliarden Euro jährlich.
Wie beeinflusst die Migration die Wirtschaft in Deutschland? Sorgen Flüchtlinge für mehr Wachstum? In der taz-Serie Ökonomie der Flucht sehen wir uns an, welche Folgen die Zuwanderung für verschiedene Wirtschaftsbranchen hat. Teil 3.
Bislang hat die Bauwirtschaft kaum vom Flüchtlingszuzug profitiert. Denn bei der schnellen Errichtung von Wohnraum haben die Kommunen vor allem auf provisorische Lösungen wie Container gesetzt, sagt Thomas Bauer, Präsident des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie. Weil der Markt leergefegt sei, kauften Kommunen diese schon in China – dabei koste der Quadratmeter Wohnraum schon zwischen 2.000 bis 3.000 Euro. „Das sind Preise, die man im vornehmsten Bürobau hat“, sagt Bauer. In zehn Jahren müssten die Container verschrottet werden, von Wohnungen hätte die Gesellschaft aber Jahrzehnte etwas. Trotzdem beginne der Neubau nur schleppend.
„Dass wir sofort loslegen, sehe ich nicht“, sagt er. Grundstücke fehlten, und die Genehmigungsverfahren dauerten zu lange. Ob die Branche insgesamt von den steigenden Flüchtlingszahlen profitiert, ist ungewiss. Kommunen könnten andere Bauvorhaben etwa für öffentliche Gebäude oder Straßen erst einmal aufschieben, weil sie nicht genug Mittel für die Versorgung von Geflohenen vom Bund und den Ländern bekommen, fürchtet Bauer.
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
EU-Antwort auf Putin und Trump
Zu wenig und zu spät
CDU-Politiker boykottiert Radio Bremen
Zu links, zu grün, zu schlecht
Macron-Rede vor EU-Gipfel
Frankreichs nuklearer Schirm für Europa
Kopftuchstreit in Spanien
Glaube und Feminismus
Jan van Aken gegen Aufrüstungspolitik
„Die Position der Linken ändert sich nicht“
EU-Gipfel für höhere Militärausgaben
Fast alle EU-Länder ziehen an einem Strang