portrait: Mit Gespür für den Moment
Es ist ein undankbarer Job, am Abend nach der jährlichen Rede des US-Präsidenten zur Lage der Nation die Antwort der Opposition vortragen zu müssen. Der Präsident spricht vor großem Publikum im Kongress – wer antwortet, hat nur eine Fernsehkamera vor sich.
An diesem Dienstag war es an Nikki Haley, der 43-jährigen republikanischen Gouverneurin von South Carolina, auf Barack Obamas Rede zu antworten. Und so wie sich die republikanischen Parteispitzen das gewünscht haben dürften, brachte sie eine Rede zustande, die mit dem Geschrei des Vorwahlkampfs nichts zu tun hatte.
Im Gegenteil. Haley, bekannt geworden als erste von indischen Einwanderern abstammende Gouverneurin eines Südstaates, kritisierte scharf die schrillen Töne. Ohne Donald Trump namentlich zu erwähnen, wusste doch jeder, wer gemeint war, wenn sie sagte, niemand solle sich in den USA unwillkommen fühlen. Trump hatte kürzlich gefordert, keine Muslime in die USA einreisen zu lassen. Und ihn meinte Haley auch, wenn sie sagte: „Manche Leute meinen, man müsste die lauteste Stimme im Raum haben, um etwas zu bewirken. Das ist nicht wahr.“
Auch am Stillstand in Washingtons Politik trügen die Republikaner eine Mitschuld, führte Haley aus. So viel Kritik an der eigenen Partei war selten in einer Antwort auf den Präsidenten – an dessen Politik sie allerdings auch kein gutes Haar ließ.
Haley ist eine gewiefte Kommunikatorin mit untrüglichem Gespür für den Moment. Lange hatte sie sich dagegen verwahrt, vor dem Capitol ihres Bundesstaates die Südstaatenfahne einzuholen – bis zum Juni letzten Jahres, als ihr das nach dem rassistischen Mordanschlag Charleston nicht mehr opportun erschien.
Eine Reformerin ist sie nicht, sie steht auf der stockkonservativen Seite des republikanischen Spektrums. Aber als exzellente Rednerin, Südstaatlerin und Frau mit Migrationshintergrund wird sie seit Wochen als Vizepräsidentschaftskandidatin eines republikanischen Tickets gehandelt. Dafür hat sie sich am Dienstagabend einmal mehr empfohlen. Bernd Pickert
Ausland SEITE 12
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen