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polizeistrategienNicht spät, sondern zu spät

Berlins Ordnungshüter fühlen sich falsch verstanden. Keine ständigen Ausweiskontrollen, keine großräumigen Absperrungen – Normalität heißt auf einmal das Einsatzkonzept für den 1. Mai. Da der Krawall durch das Demonstrationsverbot der Innenverwaltung schon so gut wie sicher ist, wollen die Dienstherren der Polizei wenigstens nicht dafür verantwortlich sein.

Kommentar von DIRK HEMPEL

Dass das Verbot der „Revolutionären 1.-Mai-Demonstration“ eine Provokation ist, hätten sich die Verantwortlichen allerdings auch schon vorher denken können. Erst recht, wenn das Verwaltungsgericht heute das Verbot bestätigt, die extrem rechte NPD zugleich aber in der Stadt aufmarschieren darf.

Nun aber haben die Ordnungspolitiker den Salat: Die Linken sind entschlossen, sich ihren traditionellen Kampftag nicht nehmen zu lassen, die Kreuzberger fürchten eine polizeiliche Besetzung ihres Stadtteils mehr als die alljährliche Randale. Und die Beamten stehen vor einer geradezu unlösbaren Aufgabe: Wie setzt man ein Demoverbot durch, wenn zusätzlich Tausende Schaulustige sich die besondere Situation in diesem Jahr nicht entgehen lassen wollen?

Da wollen die Beamten wenigstens im Vorfeld keine schlechte Presse. Von „Ausnahmezustand“ und „Bürgerkriegscharakter“ distanziert man sich schnellstens. Auf einmal ist Stärke zeigen gar nicht mehr so angesagt bei der Berliner Polizei. Das anfängliche Abschreckungskonzept, es ist gründlich nach hinten losgegangen: Die autonome Linke hat es geeint, die Demokraten bis hin zum Koalitionspartner SPD wachgerüttelt. Das Versammlungsrecht ist ein zu hohes Gut und Werthebachs strategische Spielchen für eine Verschärfung des Demonstrationsrechts sind zu durchsichtig.

Der plötzliche Wille zur „Normalität“ aber kommt nicht spät. Er kommt zu spät. Die Situation ist durch das Verbot angeheizt. Ändern lässt sich das wohl nur noch durch dessen Rücknahme.

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