ortsgespräch: In Berlin werden Rufe nach einem schärferen Demonstrationsrecht laut
Sind propalästinensische Demonstrant:innen, auch wenn sie mit ihren Parolen die Existenz Israels infrage stellen und mitunter gewalttätig sind, eine größere Gefahr für die Demokratie als regierende Politiker:innen, die mit Hinweis auf jene Klientel allzu bereitwillig demokratische Grundrechte einschränken wollen?
Diese Frage stellt sich derzeit in Berlin. Anlass dafür war eine Kundgebung zum Nakba-Tag, der an Flucht und Vertreibung von Palästnenser:innen bei der israelischen Staatsgründung 1948 erinnert. Die von der Polizei auf eine Kundgebung beschränkte Versammlung in Kreuzberg fabrizierte geradezu hysterische Schlagzeilen wegen eines schwer verletzten Polizisten. Dieser sei, so hieß es von der Polizei, „in eine Menschenmenge gezogen und dort niedergetrampelt“ worden.
Berlins SPD-Chef und Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel sprach von einem „Mordversuch“. Das Springer-Medium B.Z. titelte mit einer Forderung eines CDU-Bundestagsabgeordneten ganz im NPD-, also AfD-Stil: „Palästina-Prügler raus aus Deutschland!“
Nur: Wie die taz recherchierte, konnten Videos der Szenerie den Vorwurf eines gezielten, gewalttätigen Angriffs nicht bestätigen. Zu sehen ist dagegen, wie Polizisten gewaltsam in die Menge gehen, um einen Demonstranten festzunehmen. Dabei kommt es zu Tumulten, in denen der betroffene Polizist ohne Zutun von Demonstranten einmal zu Boden gedrückt wird, kurz darauf aber wieder um sich schlägt. Am Ende des Einsatzes bricht er zusammen, hat Prellungen und eine Fraktur am Arm. Wie genau die zustande gekommen ist, lässt sich nicht auflösen.
Doch so unklar der Verlauf ist, so sicher waren sich Politiker von CDU und SPD im Anschluss mit ihren Forderungen nach einer Verschärfung des Versammlungsgesetzes. Das gilt seit seiner Verabschiedung durch den Vorgängersenat vor fünf Jahren als das liberalste des Landes – ein „Versammlungsfreiheitsgesetz“.
Fragt man den CDU-Hardliner Burkhard Dregger, will er das Ganze ins Gegenteil verkehren und es so restriktiv ausgestalten wie nur möglich. Weil das Gesetz nicht dazu taugt, Angriffe auf Polizist:innen zu verhindern, sollen nun die Möglichkeiten erweitert werden, Demonstrationen im Vorfeld zu verbieten. Bislang gilt dies nur in engen Grenzen, bei anzunehmender Gewalt, NS-Verherrlichung oder Verletzung der Menschenwürde. Ein Verbot antiisraelischer Demonstrationen war damit bisher schon möglich, ist aber immer wieder auch von Gerichten gekippt worden. Geht es nach CDU und SPD, sollen Verbote nun rechtssicherer werden.
Argumentiert wird dabei vor allem auch mit der steten Wiederholung von Slogans wie „From the river to the sea“ oder „Yallah Intifada“, die den meisten Polizeieinsätzen vorangehen. In der Konsequenz will man also lieber die Demonstrations- und Meinungsfreiheit einschränken, als weiter hören zu müssen, wie Israels Krieg in Gaza gegeißelt wird, auch wenn dies häufig auf eine Art und Weise geschieht, die unsachlich, grenzüberschreitend und menschenfeindlich ist.
Eigentlich aber will die deutsche Politik, ideologisch eingemauert im Staatsräson-Diskurs und verschanzt hinter einem instrumentellen Verständnis von Antisemitismus, gar keine Kritik an Israels Krieg und der eigenen Verflechtung hören; nicht von den Zehntausenden Toten, der Zerstörung aller Lebensgrundlagen, dem Aushungern und den Vertreibungsplänen.
Auf der Seite der Demonstrant:innen treibt der Trotz seine Blüten, auch der Hang zu einem gewissen Märtyrertum. Die Fronten sind verhärtet. Ein Einschränken des Demonstrationsrechts dreht diese Spirale weiter. Erik Peter
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