İlkay Gündoğan bei der EM: Groß vor Kroos
Der Kapitän der DFB-Elf versteht sich mit Toni Kroos beinah telepathisch. Er ist Mittelfeldantreiber, Torevorbereiter und trifft auch selbst.
Als Ausweis ihrer Professionalität benutzen Fußballprofis heutzutage fast inflationär das englische Wörtchen „humble“ – bescheiden. Sie seien ja dem Hype und Aufmerksamkeitsgetöse zum Trotz so „down to earth“, also wirklich kein bisschen abgehoben. Was bei den meisten taktische Flunkerei ist, das ist bei İlkay Gündoğan einfach nur wahr. Er ist mit einiger Sicherheit der bescheidenste Superstar, den der Fußball derzeit aufzubieten hat. Beim 2:0-Sieg der DFB-Elf gegen Ungarn in der Stuttgarter Arena wurde der 33-Jährige zum „Man of the Match“ gekürt, weil er nicht nur eine formidable Partie als offensiver Mittelfeldstratege gespielt hatte, sondern ebenso mit einer Torvorlage und einem Tor glänzte.
Da stand der kleine Mann, geboren in Gelsenkirchen, Papa aus Dursunbey im Westen der Türkei, also gut im Rampenlicht, und trotz seiner gigantischen Erfolge in Deutschland und England, dort mit Manchester City, sind diese großen Bühnenauftritte immer noch nichts für ihn. Ein wenig verloren wirkt er, aber diesmal bekam er dieses gewisse Strahlen nicht mehr aus dem Gesicht. Eine stille Genugtuung ließ ihn lächeln. Dann sagte Gündoğan einen Gündoğan-Satz: „Ich wollte immer geduldig bleiben, ich wollte immer meine Aufgaben auf dem Platz so gut wie möglich erfüllen, ohne mich dabei allzu wichtig zu nehmen.“
Diese Gefahr besteht nun wirklich nicht. Im Gegenteil, er scheint immer wieder Ermunterung zu brauchen, die Trickkiste nicht nur einen Spalt, sondern ganz zu öffnen: „Er ist ein extrem smarter Spieler, wir müssen ihm alle im Land vertrauen“, sagte Trainer Julian Nagelsmann nach dem Spiel, das bereits den Weg ins Achtelfinale frei machte und das letzte Gruppenspiel am Sonntag in Frankfurt gegen die Schweiz weniger wichtig erscheinen lässt. „Wir müssen ihn einfach alle ein bisschen pushen, weil er uns helfen kann, erfolgreich zu sein.“ Also İlkay, zeig uns noch mehr!
Im motorischen System der DFB-Elf gibt es zwei Nervenzentren, die Bewegungen und Ströme lenken: Toni Kroos auf der defensiveren Sechser-Position und İlkay Gündoğan davor. War Kroos im Eröffnungsspiel gegen Schottland überragend, so wanderte die zentrale Spielleitung diesmal eher zu Gündoğan. Dort vorn fühlt er sich ohnehin wohl, in der Saison 2020/21 hat er für die Skyblues in der Premier League 13 Tore geschossen, etliche Vorlagen kamen noch hinzu. Und es war am Mittwochabend interessant zu erfahren, dass Gündoğan sich offenbar blind mit Kroos versteht, auf eine irgendwie telepathische Art: „Das Gute mit Toni ist: Wenn wir uns eine Millisekunde anschauen, weiß der eine schon, was der andere vorhat.“ Dieses Einvernehmen sei auf dem Platz „unheimlich wichtig. Je besser man diese Verbindung mit den Kollegen herstellen kann, desto besser wird man auch spielen.“ Feinsinnig ist er, leichtfüßig sowieso.
İlkay Gündoğan
Bei der letzten Europameisterschaft standen Kroos und Gündoğan noch zusammen auf der Sechs herum. Das funktionierte nicht so gut, weil beide in so einer Lage immer nur „das Gleiche denken“ und „das Gleiche machen“ würden, eine Dopplung der guten Absichten scheint negativ zu wirken, also hat Nagelsmann alles richtig gemacht, die Strategen räumlich zu staffeln. Aber eigentlich hat er nur nachgemacht, was ihm ManCity-Coach Pep Guardiola, der Gündoğan stets in den allerhöchsten Tönen lobte, vorgemacht hat: Während Kroos im Laufe der Karriere nach hinten rückte, machte sich Gündoğan auf den Weg nach vorn.
Vertrauen und Stabilität
Dass er seine Rolle im Gegensatz zur Katar-WM gefunden hat, wo er von Coach Hansi Flick immer fahrlässig früh ausgewechselt und damit verunsichert wurde, gibt ihm nun auch im Nationalteam jene Stärke, die er im Verein immer hatte: „Ich spüre vor allem das Vertrauen vom Trainer, ich fühle mich in der Mannschaft extrem wohl.“ Das sei ein gutes Vorzeichen, um auf dem Platz frei aufzuspielen. Der Kapitän des Teams stärkt andere, aber er braucht auch Infusionen fürs Selbstvertrauen, vor allem Stabilität in der Startelf.
Der mittlerweile beim FC Barcelona kickende Profi sprach auch in Stuttgart dieses englische Wörtchen aus: „humble“. Natürlich, und wie sollte es anders sein, bezog er es nicht auf sich selbst, sondern auf den Kollegen Jamal Musiala. „I love him“, sagte er auf die Frage eines englischen Reporters, „he is the most important for us.“ Wenn doch alle in diesem Land so wären wie İlkay Gündoğan, es wäre ein Sehnsuchtsort.
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