kommentar: Die Union setzt auf Zuwanderung
Gestern hat der Bundestagswahlkampf begonnen. Wir wissen noch nicht viel über die Taktik der Kontrahenten, aber eins ist klar: Es wird um Zuwanderung und Ausländer gehen. Diese Frage ist entschieden, die Union will es so. Sie wird alles versuchen, das Zuwanderungsgesetz noch zu kippen. Damit imitiert sie, was Lafontaine erfolgreich in der späten Kohl-Ära tat: die Regierung via Bundesrat lahm legen.
Ganz gleich, wie das Duell am 22. März ausgeht, ob Schröder das Kunststück gelingt, die rot-grüne Zuwanderung durch den Bundesrat zu manövrieren, oder ob Stoiber Brandenburgs Innenminister Schönbohm als Parteisoldaten dienstverpflichten kann – wir werden einen Ausländerwahlkampf erleben. Wenn es das Gesetz gibt, wird die Union weiter dagegen polemisieren, wenn es scheitert, wird Stoiber sich als Garant gegen solchen Unfug inszenieren. Das weiß auch die SPD – deshalb hat Otto Schily gestern im Bundestag mit Donnerworten die Union attackiert. Man zeigt sich schon mal gegenseitig die Waffen.
Die Union setzt auf das erprobte Szenario: Sie zielt auf die schweigende Mehrheit und diffuse Ängste. Stoiber als moderater Mann der Mitte, der nur in der Migrationsfrage unerbittlich bleibt – so könnte der Unionswahlkampf im Groben aussehen. So ähnlich hat Roland Koch mit der Kampagne gegen den Doppelpass 1999 in Wiesbaden Eichel besiegt. Die Frage lautet: Kann sich das Hessen-Szenario für Rot-Grün wiederholen?
Es gibt ein paar auffällige Unterschiede. Kochs Stärke war 1999 die Schwäche seiner Gegner. Rot-Grün, frisch im Amt, glaubte leichtsinnig, den Doppelpass von oben dekretieren zu können. Die Grünen verwechselten die eigene Beschlusslage mit dem, was durchsetzbar war. Deshalb konnte sich Koch als Retter des deutschen Volkes inszenieren.
Heute ist das anders. Dem rot-grünen Zuwanderungsgesetz kann man viel vorwerfen – dass es ein Dekret von oben ist, gewiss nicht. Im Gegenteil: Es ist ein Kompromiss. Das weiß auch die Union.
„Dieses Gesetz ist schlecht, es ist besser, wenn es nicht in Kraft tritt“, sagt Edmund Stoiber. Wortwörtlich das Gleiche sagt, aus ganz anderen Gründen, Pro Asyl. Die Fronten sind vermischter als 1999. Kirchen, Gewerkschaften und Unternehmer stützen Rot-Grün, die Union hingegen ist ziemlich allein zu Hause. Das ist Stoibers Problem. Denn ein Ausländerwahlkampf braucht klare, suggestive Fronten: Hier sind wir, Beschützer der Deutschen, dort die Weltverbesserer, die uns fremde Habenichtse auf den Hals hetzen.
Kein Missverständnis: Ein Ausländerwahlkampf ist immer eine üble, ressentimentvergiftete Veranstaltung. Aber das Dopingmittel, das naturgesetzlich den Konservativen nutzt, wird er diesmal nicht sein. STEFAN REINECKE
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