ifo-Studie zu Kriminalitätsfaktoren: Migration allein macht niemanden kriminell
Studien belegen immer wieder, dass sozioökonomische Faktoren Kriminalität schaffen. Wer das Problem nur auf Migration schiebt, verhindert deren Bekämpfung.
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E inwanderung führt nicht zu mehr Kriminalität, zeigt eine Studie des ifo-Instituts aus der letzten Woche. Zwar tauchen Migrant*innen in den Polizeistatistiken öfter auf, als es ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht.
Aber das liegt nur daran, dass sie überdurchschnittlich oft in Großstädten leben, wo die Armut größer, die Polizeikontrollen häufiger und die Gefahr, kriminell zu werden, für alle höher ist. Sozioökonomische Faktoren, die Migrant*innen besonders treffen, sind also entscheidend.
All das ist eigentlich nichts Neues, schon viele Studien sind zu ähnlichen Schlüssen gekommen. Aber es zeigt einmal mehr, wie weit sich die heißgelaufene Debatte um Migration von den Fakten entfernt hat. Die Überzeugung, dass Zugewanderte an und für sich die öffentliche Ordnung bedrohen, ist fast zur Selbstverständlichkeit geworden. Auch andere Probleme werden gern kulturell erklärt, während die Wissenschaft eigentlich sozioökonomische Gründe vermutet.
Wahlerfolge rechter Parteien? Ausdruck geistiger Verwahrlosung und nicht Ergebnis eines Wirtschaftssystems, das Abstiegsängste, Enttäuschung und Wut produziert. Mehr Depressionen? Ein medizinisches Problem, aber ganz bestimmt kein Zusammenhang mit prekären Lebensbedingungen, Ungleichheit und einem Wettlauf um soziale Anerkennung, der von den Profitinteressen der Social-Media-Plattformen angefacht wird. Man könnte die Liste beliebig weiterführen.
Eine Ablenkungsstrategie
Empfohlener externer Inhalt
Es ist nicht schwer zu erkennen, warum diese Sichtweise so weitverbreitet ist. Sie liefert einfache Antworten. Es ist verführerisch leicht, aus dem hohen Ausländeranteil in der Kriminalstatistik zu schließen, dass Zugewanderte eben einfach krimineller sind. Das Wechselspiel verschiedener Faktoren, von denen Migrant*innen nun mal deutlich öfter betroffen sind, ist ungleich schwieriger zu durchschauen und zu vermitteln. Hier sind gute Wissenschaftskommunikation und differenzierte Berichterstattung in den Medien nötig.
Doch für den deprimierenden Zustand der öffentlichen Debatte um Migration und Kriminalität gibt es wohl noch mehr Gründe. Kulturelle Erklärungen kommen bestimmten Gruppen einfach sehr gelegen. Kein Wunder, dass die Argumente besonders laut von denen kommen, die viel zu verlieren hätten, wenn über die materiellen Verhältnisse und deren Kosten gesprochen würde. Friedrich Merz fliegt Privatflugzeug, verbindet Sicherheit systematisch mit der Migration und verspricht Steuersenkungen für Reiche.
Alice Weidel, auch sie nach Schätzungen Millionärin, will die Erbschaftssteuer abschaffen und Menschen mit Migrationshintergrund am liebsten komplett loswerden. Setzen sie sich durch, dürften sich die Probleme, die sie zu bekämpfen vorgeben, verschlimmern. Wer Migrant*innen das Leben noch schwerer macht, befördert damit Armut und Ausgrenzung. Also just einige der Hauptgründe dafür, dass Menschen wirklich kriminell werden.
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