heute in hamburg: „Ein Ort der systematischen Folter“
Interview Petra Schellen
taz: Herr Diercks, was war das Stadthaus in der NS-Zeit für ein Ort?
Herbert Diercks: Bis Juli 1943 war es Sitz des Hamburger Polizeipräsidiums, der Gestapo-Leitstelle für Norddeutschland und der Kriminalpolizei.
Wie war deren „Arbeitsteilung“?
Zum einen gab es die ganz normale uniformierte Schutzpolizei. Sie war ab 1933 für Verhaftungen politischer GegnerInnen zuständig. Aus Schutzpolizisten bestand auch das „Kommando zu besonderen Verwendung“ – ein Schlägerkommando, das in politisch links orientierten Stadtteilen durch Razzien und Verhaftungen Gewaltterror ausübte.
Welche Rolle spielte die Gestapo?
Sie war auch zuständig für die Deportation der jüdischen Bevölkerung und für die Überwachung der 1.000 Hamburger ZwangsarbeiterInnenlager.
Bleibt die Kriminalpolizei.
Sie verfolgte Roma und Sinti, Homosexuelle, „Asoziale“ – Obdachlose sowie Vorbestrafte, die im Zuge der „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ festgenommen und in KZ gesperrt wurden.
Welche Verbrechen wurden vor Ort im Stadthaus verübt?
Verhaftete WiderständlerInnen wurden dort brutal misshandelt und verhört. Mit systematischer Folter hat man Aussagen erpresst. Bis heute ist das Stadthaus für Überlebende und Angehörige ein schmerzhafter Ort.
Heute residieren in den privatisierten Stadthöfen Luxusläden, und der Investor hat die Ausstellungsfläche kleingerechnet.
Von den zugesagten 750 Quadratmetern sind 50 für eine „Hauptausstellung“ neben dem Café eines Buchladens geblieben. Um alle erwähnten Verbrechenskomplexe anzusprechen, haben wir mit wenig Information auf der Oberfläche und viel in der Vertiefung gearbeitet.
Das heißt?
Online-Präsentation des Katalogs „Das Stadthaus und die Hamburger Polizei im Nationalsozialismus“: 19 Uhr, Anmeldung unter katharina.moeller@gedenkstaetten.hamburg.de
Große Tische sind einzelnen Verbrechenskomplexen zugeordnet, und dann kann man per Monitor oder Screen Näheres erfahren. Oder aber man recherchiert in den aufgestellten Leitz-Ordnern und Karteikästen. Außerdem hat man sich nach langwierigen Verhandlungen auf Leuchtstelen auf der Brücke über das Bleichenfleet geeinigt. Die informieren über Bau und Nutzungsgeschichte der Stadthöfe sowie über die seit den 1980er-Jahren erhobenen Forderungen nach einem Gedenkort.
Warum heißt sie „Seufzerbrücke“?
Das war der Gang, durch den die Verhafteten von ihren Arrestzellen zum Verhör gehen mussten. Dort gibt es Hörstationen mit ZeitzeugInnenberichten, die SchauspielerInnen eingesprochen haben. Dieser Raum kommt einem Gedenkort am ehesten nahe.
Und was bietet Ihr neuer Katalog?
Er enthält, leicht zugänglich und zum Durchblättern, alle Informationen, die man sich in der Ausstellung mühsam über Monitore, Karteikarten und Ordner erschließen muss.
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