die zahl der woche: Baby-Kalb wird zur Heldin der BSE-Krise
Jeanne d’Arc lebt
Jeanne d’Arc hat kuschelige braune Ohren, große Augen und einen weißen Fleck auf der Stirn. Jeanne d’Arc heißt das letzte Rind des Bauernpaars Timm im Dithmarschen. Heute wird das Kalb fünf Tage alt. Alle anderen Kühe des Hofes wurden am Montag zum Schlachter gefahren, weil eines ihrer Tiere an BSE erkrankt war. Als die Transporter anrollten, wurde Jeanne d’Arc gerade geboren. Ihren Tod konnten die Bauern nur verhindern, weil der herbeigerufene schleswig-holsteinische Agrarstaatssekretär Rüdiger von Plüskow den Bauernprotesten nachgab. Bis der BSE-Test von der Mutterkuh vorliege, dürfe Jeanne d’Arc weiterleben. Die Bauern triumphieren: Erstmals wurden aus einem schleswig-holsteinischen Hof mit BSE-Fall nicht alle dafür vorgesehenen Rinder gekeult. 1429 brachte Bauerntochter Jeanne d’Arc die Wende im Hundertjährigen Krieg. Jetzt hat Jeanne d’Arc die Wende in der BSE-Politik eingeleitet.
Heide Simonis sieht keine Wende. Für sie ist die Sache klar: Jeanne d’Arc ist eine dumme Kuh. Symbol oder Doppelsymbol. Alles Quatsch. Ein Kalb bleibt ein Kalb. Und ihren Staatssekretär von Plüskow hält sie vermutlich für einen Ochsen. Denn mit seinem Einknicken hat er dafür gesorgt, dass kein Rind aus Schleswig-Holstein mehr exportiert werden darf. Die nötigen Zertifikate bekommen nur Bundesländer, die nachweislich alle Rinder eines BSE-Hofs vernichten.
Die listigen Bauern haben Jeanne d’Arc trotz der Zusage, das Kalb werde zu Forschungszwecken auf die Ostseeinsel Riems gebracht, inzwischen versteckt. Dass die Kuh von der Polizei gesucht werde, dementiert das Landwirtschaftsministerium eifrig. Simonis will aus Wirtschaftsgründen eine schnelle Lösung. Und wenn schon mit Symbolik, dann soll das Kalb bitte dort enden, wo schon seine Namensvetterin ihr Leben ließ: im Feuer. RALF GEISSLER
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