die ortsbegehung: Hamburgs Oper soll Neubau weichen
Der Milliardär Klaus-Michael Kühne will ein Opernhaus an einem neuen Standort stiften. Dem heutigen Bau fehle es an Strahlkraft – seine Heimatstadt habe Besseres verdient
Aus Hamburg Gernot Knödler
Hamburgs Staatsoper kommt mit Understatement daher – leicht und transparent, so wie viele Bauten aus der unmittelbaren Nachkriegszeit. Doch aus Sicht des Milliardärs Klaus-Michael Kühne ist sie nicht mehr gut genug für seine Heimatstadt, die mit so glanzvollen Bauten wie der Elbphilharmonie aufwarten kann. Kühne, Eigentümer des Logistikunternehmens Kühne und Nagel, hat angeboten, 300 Millionen Euro für einen Neubau zu stiften. Die Verhandlungen mit dem Senat laufen. Fragt sich, ob ein Neubau in der Hafencity Sinn ergäbe und was dann aus dem Altbau würde.
Im Gegensatz zu dem angedachten Neubau auf ehemaligem Hafengebiet steht das alte Opernhaus mitten in der Stadt, unweit des Gänsemarktes, an dem 1678 das erste privat betriebene Opernhaus Deutschlands gegründet wurde. Georg Philipp Telemann wirkte hier als Stadtmusikdirektor, Georg Friedrich Händel als Geiger und Cembalist. 1827 bezog das Theater einen Neubau am heutigen Standort. Im ersten Stock des Foyers erinnert eine Büste daran, dass der Komponist Gustav Mahler hier in 1890er Jahren Chefdirigent war.
Tradition und Denkmalschutz
Viel Tradition also – und dazu noch ein Gebäudekomplex, der unter Denkmalschutz steht. Das Zuschauerhaus fiel 1943 einem Bombenangriff zum Opfer. 1955 nach Plänen des Architekten Gerhard Weber neu erbaut, gilt es dem Hamburger Denkmalrat als „ein herausragendes Beispiel für einen Kulturbau im Stil einer repräsentativ aufgewerteten Nachkriegsmoderne“, der zudem das Stadtbild präge.
Die Fassade besteht aus Kalkstein und zur Hauptstraße hin im Wesentlichen aus hohen, golden eingefassten Fenstern. Der Bau kommt ohne Vorplatz aus; stattdessen führt ein Arkadengang direkt am gläsernen Foyer vorbei: Oper zum Anfassen.
Der Neubau ist an das ebenfalls denkmalgschützte Bühnenhaus von 1926 angeflanscht. Dahinter liegt ein Erweiterungsbau von 2005. Dieser Gebäudeteil liegt quer zur Kleinen Theaterstraße. Der Name ist Programm: Wegen der beengten Verhältnisse liefert die Oper ihre Kulissen mit speziellen Lastern an. Das Material von Fremdproduktionen kann nicht direkt angeliefert, sondern muss im Fundus im Hamburger Osten umgeladen werden.
An der Nahtstelle zwischen Alt-und Erweiterungsbau gibt es ein schmales hohes Tor, durch das früher die Kulissen ins Bühnenhaus geschoben wurden. Der Eingang daneben führt in einen Gang unter der Bühne – eine Hauptschlagader für den Betrieb. Während der Aufführungen drängeln sich hier die Chorsänger, Orchestermusiker, Komparsen und Solisten.
Der Neubau verschafft der Hamburger Oper eine besondere Konstellation, quasi drei Bühnen hintereinander: die Hauptbühne, dahinter der Aufbauraum, wo ein paar blaue Wände auf ihren Einsatz warten, und dahinter – notfalls durch einen eigenen eisernen Vorhang abgeschottet – eine Probebühne. Das ermöglicht auch mal eine große Tiefe, dafür ist die Bühne an sich vergleichsweise klein und links und rechts kaum Platz.
Der Blick von der Bühne zeigt ein Meer roter Sitze und an Seiten vier Stockwerke hoch Logen, die wie Sortierboxen in den Zuschauerraum ragen – gute Sicht allenthalben.
Alles ist in die Jahre gekommen
Versteckt am Rande der Bühne steht eine Art verschrammelter Sekretär – das Inspizientenpult. Von hier aus wird der künstlerische und technische Ablauf der Aufführung koordiniert. Das Pult ist genauso in die Jahre gekommen wie der Großteil der Technik vor und hinter der Bühne. Und das ist eine Menge: Beleuchtung, Beschallung, Hebebühnen und Podeste.
Die Besonderheit
Die Hamburger Staatsoper war 1678 die erste in Deutschland, die von Bürgern gegründet und privatwirtschaftlich betrieben wurde. 1705 wurde hier Händels erste Oper „Almira“ uraufgeführt. Seit 1827 steht sie am heutigen Ort unweit der Binnenalster. Zwei Teile des Gebäudekomplexes stehen unter Denkmalschutz.
Das Zielpublikum
Leute, denen es nicht reicht, eines der vielen Musicaltheater Hamburgs zu besuchen; Leute, für die es zum guten Ton gehört, ab und an in die Oper zu gehen; Musikliebhaber.
Hindernisse auf dem Weg
Die Staatsoper ist umstellt von Haltepunkten des öffentlichen Nahverkehrs. Besucher müssen entscheiden, ob sie mit der U2 zum Gänsemarkt, mit der U1 zum Stephansplatz oder der S-Bahn zum Dammtor fahren sollen. Mehrere Buslinien halten fast vor der Tür.
„Mindestens 30 Jahre alt“, sagt Christian Voß, der Technische Direktor der Staatsoper. Das macht es schon schwierig, Ersatz für elektrische Bauteile zu finden. Voß und seine Kollegen suchen sie auf Ebay. Es gibt große Anlagen, die nicht mal eben ausgetauscht werden können. Um die beiden Podien zu ersetzen, die das Orchester aus seinem Graben heben, soll das Haus 2027 zwei Monate lang geschlossen werden. Die normale Spielzeitpause von sechs Wochen reicht hierfür nicht. Eine Sanierung im laufenden Betrieb ist auch deswegen schwierig, weil das Publikumsgebäude asbestbelastet ist.
Über kurz oder lang werde eine Generalsanierung fällig, sagt Voß. „Aber was machen wir in der Zeit, während wir sanieren?“ Eine Ausweichspielstätte für ein Opernhaus zu finden sei schwierig, über Jahre zu schließen keine Option. Ein Neubau hingegen böte die Möglichkeit, Raumangebot, Technik und Arbeitsbedingungen dem heutigen Standard anzupassen.
Mit Blick auf Kühnes Angebot sprach Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda kürzlich von einer „großartigen mäzenatischen Geste, die wir auch gerne annehmen würden“. Es sei aber noch zu prüfen, ob die angebotene Summe auch ausreiche. Für eine alternative Nutzung des alten Theaterbaus gebe es „Ideen“.
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