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die erklärungDer neue Wehrdienst kommt

Briefe, Verweigerung, Musterung: Was hat es mit dem neuen Wehrdienst auf sich? Die wichtigsten Fragen und Antworten

Von Cem-Odos Güler und Pascal Beucker

1 Worum geht es beim neuen „Wehrdienst-Modernisierungsgesetz“?

Die Bundeswehr beschäftigt derzeit insgesamt fast 264.000 Menschen: knapp 183.000 freiwillig Wehrdienstleistende, Berufs- oder Zeitsoldaten sowie etwas mehr als 81.000 Zivilist:innen. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist die Nato der Überzeugung, dass sich die Armeen der europäischen Mitgliedstaaten deutlich vergrößern müssen. Was für Deutschland bedeutet, dass die Anzahl der Bun­des­wehr­sol­da­t:in­nen in den kommenden zehn Jahren sukzessive auf bis zu 270.000 anwachsen soll. Außerdem soll in diesem Zeitraum die Zahl der Re­ser­vis­t:in­nen von derzeit rund 50.000 auf 200.000 steigen. Beides soll mit dem „Wehrdienst-Modernisierungsgesetz“ erreicht werden.

2 Wann soll das Gesetz in Kraft treten?

Nach den Vorstellungen der Koalition von Union und SPD soll das Gesetz Anfang Dezember im Bundestag beschlossen werden und Mitte Dezember den Bundesrat passieren. Dann könnte es am 1. Januar 2026 in Kraft treten.

3 Hilfe, ich werde im Januar 18 Jahre alt. Muss ich dann zur Bundeswehr?

Keine Angst, so weit ist es noch nicht. Auch mit dem neuen Gesetz bleibt die 2011 ausgesetzte Wehrpflicht weiter außer Kraft. Du wirst jedoch einen Brief mit einem QR-Code erhalten, der zu einem Onlinefragebogen führt. Mit dem soll deine Motivation und die Eignung für die Bundeswehr abgefragt werden. Darüber hinaus sollst du jedoch auch über Formen des freiwilligen zivilen Engagements informiert werden, zum Beispiel den Bundesfreiwilligendienst. Junge Männer müssen diesen Fragebogen ausfüllen. Junge Frauen können ihn ausfüllen, müssen es aber nicht.

4 Und was passiert dann?

Theoretisch steht dann für alle jungen Männer ab dem Jahrgang 2008 die Musterung an. Dabei werden die körperlichen und geistigen Voraussetzungen für einen eventuellen Dienst in der Bundeswehr geprüft. Allerdings müssen dafür erst noch die notwendigen Musterungskapazitäten aufgebaut werden. In der Praxis bedeutet das: Zunächst sollen diejenigen gemustert werden, die sich im Fragebogen bereit erklärt haben, zur Bundeswehr zu gehen. Schrittweise soll der Kreis ausgeweitet werden, bis sich schließlich ab Juli 2027 alle potenziell Wehrpflichtigen einer verpflichtenden Musterung unterziehen müssen.

5 Warum denn eine Musterung für alle jungen Männer?

Seit der Aussetzung der Wehrpflicht gibt es keine Wehrerfassung mehr. Das heißt, dass derzeit niemand weiß, auf wen die Bundeswehr in einem Spannungs- und Verteidigungsfall jenseits der aktiven Sol­da­t:in­nen zurückgreifen kann. Mit der verpflichteten Musterung will sich das Bundesverteidigungsministerium nun einen möglichst umfassenden Überblick über die Wehrtauglichkeit der potenziell infrage kommenden Männer verschaffen.

6 Aber wollten Union und SPD nicht eigentlich auslosen lassen, wer zur Musterung muss?

Stimmt, die Un­ter­händ­le­r:in­nen von Union und SPD hatten diese lustige Idee. Verteidigungsminister Boris Pistorius fand das allerdings aus oben genannten Gründen nicht lustig. Deswegen bleibt es jetzt bei der von ihm von Anfang an geforderten Musterungspflicht für junge Männer.

7 Und was ist mit den Frauen?

Die können sich zwar freiwillig zur Bundeswehr melden, aber dürfen laut Grundgesetz Artikel 12a, Absatz 4 ausdrücklich selbst im Verteidigungsfall „auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden“. Deswegen wird es für sie auch keine verpflichtende Musterung geben.

8 Das Grundgesetz ließe sich doch ändern, oder?

Ja, aber nur mit einer Zweidrittelmehrheit – und die gibt es nicht. Denn die Linkspartei ist für die vollständige Abschaffung der Wehrpflicht, während die AfD nur die Wehrpflicht für stramme Männer will.

9 Warum sollte ich zur Bundeswehr?

Keine Ahnung, das bleibt zumindest vorerst eine persönliche Entscheidung des oder der Einzelnen. Um dich zu gewinnen, hat sich die Regierungskoalition darauf verständigt, die Bundeswehr attraktiver zu machen. Das fängt beim Geld an: Bisher verdienen Sol­da­t:in­nen im freiwilligen Wehrdienst zwischen 1.800 und 2.200 Euro brutto im Monat. Das soll nun auf 2.600 Euro brutto erhöht werden. Wer sich für mindestens zwölf Monate verpflichtet, kann als Zeitsoldat zusätzlich zum Beispiel mit einem Zuschuss für den Pkw- oder Lkw-Führerschein ­rechnen.

10Und was würde mich bei der Bundeswehr erwarten?

Bislang marode Kasernen, fehlende Aus­bil­de­r:in­nen und die hierarchische Bundeswehrstruktur, auf die man sich erst mal einlassen muss. Laut dem letzten Bericht der Wehrbeauftragten war übrigens die „Langeweile“ unter den Freiwilligen einer der Hauptgründe, warum viele junge Menschen der Truppe nach wenigen Monaten wieder den Rücken zugewandt haben.

11Ich befürchte, nicht aus­gemustert zu werden. Kann ich sicher sein, dass nicht doch noch die Wehrpflicht zurückkommt?

Nein, das kannst du nicht. Nachdem sie monatelang darüber gestritten ­hatten, haben sich Union und SPD jetzt zwar darauf verständigt, dass es keinen Automatismus zur Aktivierung der Wehrpflicht geben wird. Falls jedoch „die verteidigungspolitische Lage oder die Personallage der ­Streitkräfte dies erforderlich macht“, sprich die Freiwilligkeit für die anvisierten Zielzahlen nicht reichen sollte, soll der Bundestag per Gesetz die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht beschließen. Orientiert am Bedarf soll in diesem Fall „als Ultima Ratio ein Zufalls­verfahren zur Auswahl angewendet werden“.

12 Ich will mich aber nicht auf mein Losglück verlassen müssen, sondern unter keinen Umständen zur Bundeswehr. Was kann ich tun?

Das Grundgesetz garantiert in Artikel 4, Absatz 3 das Recht auf Kriegsdienstverweigerung: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“ Zur Beantwortung aller Fragen, wie man praktisch dieses Grundrecht wahrnehmen und sich vorsorglich vor einer Zwangsrekrutierung schützen kann, dafür stellt die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) auf einer Website einen umfassenden und leicht nachvollziehbaren Leitfaden zur Kriegsdienstverweigerung bereit.

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