Unvereinbarkeitsbeschluss der Union: Überholter Symmetriezwang
Die Bedrohung durch die AfD ist einfach zu stark, um nicht mit der Linken zusammenzuarbeiten – und die These dahinter war immer viel zu kurzsichtig.

I n der Not verbünden sich Konservative mit dem Teufel. In der deutschen Politik war das die Linke in verschiedenen Gestalten; die Zusammenarbeit zwischen Union und Linke war per Unvereinbarkeitsbeschluss ausgeschlossen. Erstmals gekippt wurde er in Thüringen, Anfang Mai auch bei der Kanzlerwahl im Bundestag, weil man die Stimmen der Linken für einen Geschäftsordnungsantrag benötigte. War ja nur eine Geschäftsordnungsangelegenheit? Wohl kaum. Denn die Zweidrittelmehrheit wird im Bundestag und in Landtagen künftig wahrscheinlich häufiger gebraucht, um die AfD abzublocken. Das verändert die politische Landschaft.
Zur DNA der Bundesrepublik gehört die symmetrische Ablehnung beider Extremismen. Aber: Die Asymmetrie der Bedrohung der Demokratie durch die Ultrarechte hat den Symbolwert des in alle Richtungen ausstrahlenden Antiextremismus verblassen lassen. Für aufrechte Rechte ist das ein Sündenfall. Der Symmetriezwang entstammt der kurzsichtigen These, „Weimar“ sei im Zusammenwirken von Nazis und Kommunisten zugrunde gegangen, auch wenn eher zutrifft, dass Hitler durch die Implosion der demokratischen Mitte an die Macht gekommen ist.
Dass Konservative an der Unvereinbarkeit festhalten, unterstützen Kommentare wie dieser aus der FAZ: „Schon seine (Merz’) Wahl signalisierte, dass er ‚links‘ immer neue Zugeständnisse macht, obwohl die Wähler sich immer weiter nach rechts orientiert haben. Offenbar hat die Hölle zwei Tore.“ Und wie entgeht man dem? Der Kommentator insinuiert, man müsse dann wohl auch mit der AfD kooperieren.

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Mehr als eine punktuelle Aufhebung von Tabus dürfte mit den Grünen geboten sein, die mit der informellen Oberaufsicht über die Zweckbindung der Klimamilliarden schon einen Fuß in der Tür der Großen Koalition haben. Diese ist, wie sich beim ersten Scheitern der Kanzlerwahl gezeigt hat, ohnehin zu klein. Sie bedarf, auch wenn dies das große Tabu der Parteipolitik ist, einer flexibleren Mehrheitsbeschaffung nach Sachthemen als bisher.
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