die dritte meinung: Angst essen Rechtsstaat auf, sagt der NRW-Grüne Felix Banaszak
Felix Banaszak
ist seit Januar 2018 Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen in Nordrhein-Westfalen. Seine Schwerpunkte sind die Migrations-, Innen- und Sozialpolitik.
Der Verdacht wiegt schwer: Haben Horst Seehofer oder NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) bewusst ein Gericht getäuscht, um mit der eiligen Abschiebung des angeblichen Bin-Laden-Leibwächters Sami A. Fakten zu schaffen? Vieles deutet darauf hin – besonders die Aufzeichnungen des Gerichts. Dies wäre ein inakzeptabler Akt der Rechtsbeugung. Und ein Zeichen, auf welch schiefer Bahn in Richtung Willkür wir uns inzwischen befinden.
Es passt ins Bild, dass konservative Hardliner gerne vom Rechtsstaat reden. Der ist dann gut, wenn er mit harten Strafen daherkommt. Lästig wird er, wenn mit ihm Rechtsschutz und der Anspruch auf ein faires Verfahren verbunden sind – Dobrindts „Anti-Abschiebe-Industrie“ lässt grüßen. Und er stört, wenn er gegen den ausufernden Sicherheitswahn ins Feld gezogen wird. Gilt bald als Terrorunterstützer, wer Grund- und Freiheitsrechte hochhält?
Europa war voll des Lobes, als der norwegische Regierungschef Stoltenberg nach dem Anschlag von Utøya erklärte, man werde sich dem Terror nicht beugen – und ihm mit umso mehr Freiheit begegnen. Der Wind hat sich gedreht. Nach den Anschlägen in Brüssel, Paris und Berlin wurden Rufe nach Freiheits- und Grundrechtseinschränkungen lauter. Die Polizeigesetze in Bayern und NRW sprechen diese Sprache. Der Fall Sami A. zeigt: Mittlerweile reicht eine „drohende Gefahr“, die Angst vor der Angst, um den Rechtsstaat de facto außer Kraft zu setzen.
Der Rechtsstaat ist keine Süßigkeitentüte, aus der man sich nur herausgreifen kann, was man mag. Es mag irritieren, dass ausgerechnet die Abschiebung eines sogenannten Gefährders so scharf kritisiert wird. Doch wer die Grundrechte von „Gefährdern“ nicht achtet, wird auch irgendwann andere zur Disposition stellen. Hat der Terror mit der Abschiebung von Sami A. unsere Freiheit bezwungen? So weit muss man nicht gehen. Aber wenn wir den Trend nicht aufhalten, droht letztlich die Willkür. Der Rechtsstaat beweist sich im Umgang mit seinen Gegnern. Scheitert er dort, scheitert er grundsätzlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen