Die Lage in Syrien: Deutsche Kredite und Know-How würden helfen
Die deutsche Regierung muss auf Syrien zugehen, statt nur über StraftäterInnen zu diskutieren. Sonst verpassen wir eine wichtige Chance.
D ie Lage in Syrien bleibt unübersichtlich. So berichten viele Exilsyrer aus Deutschland, die nach Jahrzehnten erstmals wieder ihre Familien in Syrien besuchen konnten, dass die Lage in großen Teilen des Landes stabil sei und dass sie immer noch große Freude und Erleichterung darüber empfinden, dass das brutale Assad-Regime gestürzt werden konnte. Zugleich gab es aber blutige Auseinandersetzungen in den drusisch dominierten Gebieten in Suweida und auch in der Küstenregion, der Hochburg der Alawiten, bei denen Hunderte von Menschen getötet und misshandelt wurden, auch von Milizangehörigen, die dem neuen Regime nahestehen.
Viele Exilsyrer, die mit diesen Minderheiten verbunden sind, stehen der neuen syrischen Regierung unter al-Scharaa deshalb extrem skeptisch gegenüber. In Syrien selbst ist das Bild differenzierter. Auch einige prominente Christen und Drusen gestehen der neuen Regierung zu, das Land unter Wahrung von Minderheitenrechten stabilisieren zu wollen. Die Regierung hat dabei nicht nur mit islamistischen Hardlinern in den eigenen Reihen, sondern auch mit Führungspersönlichkeiten aus Minderheiten zu tun, die auf Konfrontation, Destabilisierung und Separation setzen und dabei von Israel offen unterstützt werden.
ist seit Jahrzehnten in der Investitionsfinanzierung in Afrika sowie im Nahen und Mittleren Osten tätig. Einer seiner Schwerpunkte sind fragile Staaten und Transformationsökonomien.
Vor diesem Hintergrund ist die relative politische Stabilität in Syrien eher erstaunlich. Dies wird im Vergleich zu Libyen besonders deutlich, das nach dem Sturz Gaddafis in einem bis heute anhaltenden Bürgerkrieg versank, der zudem in eine Zweiteilung des Landes gemündet ist. In Syrien dagegen ist es zunächst einmal gelungen, die Lebensmittelversorgung zu gewährleisten und den sehr starken Preisanstieg unmittelbar nach dem Sturz Assads wieder deutlich herunterzufahren.
Die Mehrheit der Syrer scheint sich zudem so sicher zu fühlen, dass sie nicht mehr flüchtet. Die Anzahl der bei uns ankommenden Flüchtlinge aus Syrien ist drastisch zurückgegangen. Aus der Türkei sind schon Hunderttausende von syrischen Flüchtlingen zurückgekehrt, und einige wenige Tausend Syrer aus Deutschland ebenfalls. Zudem boomt der Reisetourismus nach Syrien. Viele Exilsyrer erkundigen sich vor Ort über die Lage, erwägen sogar, zurückzukehren oder sich eine Zukunft mit zwei Standbeinen in Syrien und Deutschland aufzubauen.
Ein fundamentales Interesse an der Stabilisierung Syriens
Was sollte Deutschland jetzt tun? Die Bundesrepublik hat ein fundamentales Interesse an der Stabilisierung Syriens. Geopolitisch ist entscheidend, dass Syrien nicht mehr mit Russland und gegebenenfalls auch nicht allzu sehr mit China kooperiert. Nur mit einem stabilen Syrien können Syrer und Syrerinnen aus Deutschland nach Syrien zurückkehren. Wobei dies für Deutschland durchaus zweischneidig ist – sind Syrer doch in vielen Bereichen mittlerweile zu einem schwer entbehrlichen Faktor auf unserem Arbeitsmarkt geworden.
Der Aufbau des neuen Syriens bietet aber auch große Chancen für Deutschland. Die große syrische Exil-Community in Deutschland, zu der nicht wenige Unternehmer gehören und die zudem mit wohlhabenden Syrern in den Golfstaaten und in den USA verbunden ist, kann im syrischen Wiederaufbau eine große Rolle spielen und auch die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Syrien und Deutschland beflügeln.
Was macht die aktuelle Bundesregierung? Sie erscheint relativ zögerlich – ganz anders als vorher Annalena Baerbock. Die grüne Außenministerin hat frühzeitig den Kontakt zu den neuen Machthabern in Syrien gesucht, die Botschaft wiedereröffnet und an der Beendigung der Sanktionen unter der Maßgabe mitgewirkt, dass die neue syrische Regierung elementare Menschen-, Frauen- und Minderheitenrechte respektiert (nicht ganz ohne Erfolg).
Immerhin hat Bundeskanzler Merz jetzt den syrischen Präsidenten al-Scharaa nach Deutschland eingeladen. Merz scheint aber hauptsächlich an der Rückführung syrischer Straftäter interessiert. Wir brauchen stattdessen in der Regierung den Mut für ein offensives, positives Zugehen auf die neue syrische Regierung, um dort Stabilisierung und eine gesellschaftliche Entwicklung in unserem Sinne zu befördern. Das sollte in enger Abstimmung mit den EU-Partnern und insbesondere mit Frankreich erfolgen.
Die Afghanistan-Enquete-Kommission hat gezeigt, dass der Westen mit dem Anspruch, in fragilen Staaten Nation-Building nach dem Muster entwickelter westlicher Demokratien zu betreiben, vielfach kontraproduktive Effekte produziert. Wenn die syrische Regierung jetzt zunächst eine gelenkte Demokratie auf den Weg bringen will, dann sollte man ihr zugestehen, dass das Land erst einmal Stabilität braucht.
Es ist schwierig genug, 18 konkurrierende Milizen schrittweise unter Kontrolle zu bekommen. Keine Kompromisse sollten allerdings mit Blick auf die Einhaltung von Menschen-, Frauen- und Minderheitenrechten gemacht werden. Das muss eine Grundbedingung für jede künftige Zusammenarbeit außerhalb der humanitären Hilfe sein.
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Was kann Deutschland bieten? Sehr große Beträge der Entwicklungszusammenarbeit wird Deutschland angesichts der aktuellen Haushaltslage nicht bereitstellen können. Aber es würde schon viel helfen, wenn deutsches Entwicklungs-Know-how mit Geldern aus den Golfstaaten kombiniert werden könnte. Über die KfW-Entwicklungsbank könnte Deutschland zudem vom Finanzminister garantierte Entwicklungskredite bereitstellen, für die Syrien nur so niedrige Zinsen wie Deutschland zahlen müsste. Das wären für Syrien attraktive Finanzierungskonditionen.
Gibt es eine Erfolgsgarantie für eine solche Strategie? Nein, natürlich nicht. Ein einfaches Zuwarten wird aber dazu führen, dass Deutschland große wirtschaftliche und politische Chancen verpasst.
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