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debatteSondervermögen fürs Klima

Noch vor Unterzeichnung eines Koalitionsvertrags erteilen Union und SPD den Klimazielen eine Absage. Dabei kommt Deutschland eine Schlüsselrolle zu

Vorneweg: Die Erkenntnis von Union und SPD, dass es riesiger finanzieller Kraftanstrengungen für Investitionen in Schienen, Brücken und Stromnetze braucht, ist richtig. Und die Ablehnung der Grundgesetzänderung durch die Grünen ist es auch. In den nächsten fünf Jahren internationaler Klimapolitik entscheidet sich, ob die Pariser Klimaziele trotz des Ausscheidens der USA erreichbar bleiben. Schon in den nächsten fünf Tagen könnte sich entscheiden, ob die drittgrößte Industrienation der Welt unter einer Regierung Friedrich Merz weiter zu den Ländern gehören wird, die sich dafür einsetzen können und werden, dass das gelingt.

Union und SPD sollten das Nein der Grünen jetzt als Chance begreifen, ihrer eigenen staatspolitischen Verantwortung in der Klimakrise gerecht zu werden: mit dem Vorschlag für ein ausreichendes Sondervermögen Klimaschutz und der Aufnahme von Klimaschutz als Gemeinschaftsaufgabe ins Grundgesetz.

Das Einhalten von Klimazielen – und damit das gesellschaftliche Über- und Zusammenleben – ist keine Frage glücklicher Zufälle, sondern des politischen Willens. Union und SPD sollten sich jetzt dazu aufraffen, die Zukunftsfähigkeit Deutschlands vor die kurzfristigen Parteiinteressen, wie die Ausweitung von Rentenansprüchen, die Subventionierung des Agrardiesels, die Ausweitung der Pendlerpauschale oder Mehrwertsteuersenkungen für Interessengruppen zu stellen.

Anstelle eines Sondervermögens für nicht weiter definierte Infrastruktur braucht es jetzt also ein dauerhaftes Sondervermögen für Klimaschutz. Nur so kann Deutschlands Klimaneutralität im Einklang mit den Pariser Zielen gelingen. Die bisherigen Pläne von Union und SPD wären eine Absage an die Klimaziele, noch bevor der Koalitionsvertrag unterschrieben ist. Die Schuldenbremse war schon vor dem Wahlkampf eine Investitionsblockade zulasten von Klima und kommenden Generationen. Öffentlicher Nahverkehr, Wärmenetze, Schienen, Radwege, Modernisierung von Schulen: Die Aufgaben sind groß. Sie so kläglich reformieren zu wollen, ist des kommenden Kanzlers unwürdig.

Foto: Piotr Pietrus

Carla Reemtsma

ist Mitbegründerin und Sprecherin von Fridays for Future in Deutschland. 2022 bekam sie den Umwelt­medienpreis der Deutschen Umwelthilfe.

Staatspolitisch verantwortlich ist Politik, wenn sie beide elementaren Bedrohungen für unsere Freiheit, Sicherheit und Demokratie gleichermaßen adressiert: die Verteidigungsfähigkeit und die Klimakrise. Bisher jedoch behandeln Union und SPD Klimaschutz weiter rein parteitaktisch nach dem Motto, den kann man erst mal vergessen. Damit wiederholen die Christ- und Sozialdemokraten den Fehler, den sie schon im Wahlkampf gemacht haben. Zuständig für Klimaschutz ist aber die künftige Regierung, nicht die künftige Opposition. Denn der kommende Bundeskanzler wird eine Schlüsselrolle bei der Rettung des Pariser Klimaabkommens spielen müssen, nachdem sich die USA unter Donald Trump verabschiedet haben. So wie 2017 Angela Merkel.

Erneut wird es darum gehen, zu verhindern, dass weitere Staaten den USA folgen und ein Dominoeffekt entsteht. Erneut wird es darum gehen, dass die Vertragsstaaten ihre Selbstverpflichtungen aus dem Pariser Abkommen einhalten und regelmäßig so erhöhen, dass die Erderhitzung konsequent auf möglichst 1,5 Grad begrenzt wird.

Überschreiten wir diese Schwelle, könnten Kipppunkte im Klimasystem zu einer Erhitzungsspirale führen, die nicht mehr aufhaltbar ist. Die jüngsten Überschwemmungen in Argentinien, die Waldbrände in Kalifornien: Die zusammenbrechenden Klimasysteme zerstören jetzt schon Menschenleben, ganze Landstriche, die Grundlagen unserer Wirtschaft. Um dies zu verhindern, gaben in Paris rund 180 Vertragsstaaten Klimaschutzselbstverpflichtungen ab und verschärfen ihre Ziele regelmäßig. Wie soll Deutschland andere Staaten dafür gewinnen, diesen Weg weiterzugehen, wenn es sich faktisch selbst davon verabschiedet? Ein Sondervermögen Klimaschutz muss so ausgestattet sein, dass Deutschland seine Klimaschutzselbstverpflichtung und seine Zusagen bei der internationalen Klimafinanzierung einhalten kann.

Union und SPD sollten das Nein der Grünen als Chance begreifen, ihrer Verantwortung in der Klimakrise gerecht zu werden

Bei der Grundgesetzänderung geht es nicht nur um neue Klimainvestitionen, selbst für ein „Weiter so“ fehlt das Geld. Denn fast alle Klimaprogramme werden aus dem Klima- und Transformationfonds (KTF) finanziert und den will Schwarz-Rot für Strompreisentlastungen nutzen. Konkret bedeutet das, dass die Zuschüsse für klimaneutrale Heizungen, die Förderung CO2-freier Stahlproduktion und Industriearbeitsplätze, der natürliche Klimaschutz und viele andere Klimaschutzprogramme vor dem Aus stehen.

Wenn man also zum Beispiel aus dem geplanten Sondervermögen Infrastruktur jedes Jahr 20 Milliarden Euro in den Klimaschutz stecken würde, würde noch kein Euro zusätzlich investiert, und noch keine neue Klimaschutzmaßnahme auf den Weg gebracht. Auch Deutschlands Zusagen für den internationalen Klimaschutz wären damit nicht gedeckt.

Klimapolitisch geboten wäre, Klimaschutzinvestitionen komplett von der Schuldenbremse abzukoppeln. Denn die ökologische Verschuldung durch das Nichthandeln beträgt ein Vielfaches der benötigten Investitionen. Mindestens aber muss Schwarz-Rot jetzt ein Sondervermögen Klimaschutz mit dauerhafter Kreditermächtigung in Höhe von bis zu 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den Bundestag einbringen. Denn in dieser Höhe liegen die öffentlichen Investitionsbedarfe nach dem Expertenrat der Bundesregierung für Klimafragen.

Foto: Daniel Seiffert/WWF

Michael Schäfer

ist zusammen mit Julian Zuber Geschäftsführer der Klimaschutzorganisation German­Zero e. V.

Die Klimakrise ist nicht weg, nur weil Union und SPD sie in ihrem Sondierungspapier vergessen haben. Klimapolitik alleine den Grünen zu überlassen, ist ebenso wenig eine Lösung. Unser Appell an Friedrich Merz ist: Nutzen Sie die Chance, jetzt doch noch eine seriöse nationale und internationale Klimapolitik für die nächste Legislaturperiode zu formulieren und zu finanzieren.

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