piwik no script img

debatteAlle Prognosen versagten

In Syrien hat sich fast jeder geirrt: Putin, Assad, der Westen und die Ukrainer. Sicher ist nur, dass der Sturz von Assad eine Blamage für Putin war

Es ist nur sieben Jahre her: Im Dezember 2017 reiste Wladimir Putin überraschend nach Syrien. Begleitet vom syrischen Staatschef Baschar al-Assad, dem russischen Verteidigungsminister Sergej Schojgu und dem Befehlshaber der russischen Streitkräfte in Syrien, General Sergej Surowikin, ließ sich Putin als „Befreier vom Terrorismus“ feiern und drohte seinen Gegnern in Syrien mit drastischen Konsequenzen.

Nun sieht die Situation ganz anders aus: Schojgu versagte im Krieg gegen die Ukraine, verlor im Mai 2024 seinen Posten und fungiert nun als Sekretär des Sicherheitsrates. Auch Surowikin konnte Putins Erwartungen in der Ukraine nicht erfüllen und fiel nach der „Wagner“-Meuterei im Juni 2023 in Ungnade. Die in Syrien einst eingesetzte Privatarmee „Wagner“ wurde an der Ukraine­front stark dezimiert und wird aktuell vor allem in Afrika verwendet. Ihre Gründer, Jewgeni Prigoschin und Dmitri Utkin, kamen im August 2023 bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz ums Leben. Und nun folgte in Syrien die überraschende Offensive der islamistischen HTS und ihren Verbündeten: Russlands Strohmann Baschar al-Assad musste nach Moskau fliehen.

Nur Wladimir Putin bleibt dort, wo er schon 2017 war – im Kreml. Vor dem Einmarsch in die Ukraine hatte er stolz russische militärische und politische Erfolge in Syrien hervorgehoben. Schon in der Sowjetzeit war Syrien Moskaus Vorposten im Nahen Osten gewesen, und auch unter Putin diente es als zentraler logistischer Knotenpunkt für russische Aktivitäten in Afrika und Asien. Für den UdSSR-Nostalgiker Putin galt das prorussische Regime in Damaskus als Symbol wiedererlangter Stärke. An die Erfolge in Syrien wollte er offenbar auch in der Ukraine anknüpfen.

Im Dezember 2024 steht Putin aber vor den Trümmern seiner ambitionierten Syrien- und Nahostpolitik. Seine Drohungen an die „Terroristen“ aus dem Jahr 2017 erwiesen sich als leere rhetorische Floskeln. Binnen kürzester Zeit und für Russland vollkommen unerwartet brach die scheinbar stabile Assad-Herrschaft zusammen. Dies bestätigte das im Westen ohnehin verbreitete und für den Kreml durchaus bittere Narrativ vom „russischen Papiertiger“, der – in der Ukraine überbeansprucht – nun seinen wichtigen Verbündeten in Syrien fallen lassen musste. Obschon das Schicksal des Luftwaffenmilitärstützpunktes Hmeimim und der russischen Marinebasis in Tartus noch ungewiss ist und Russland pragmatisch versucht, sich mit den neuen syrischen Machthabern zu arrangieren, sind Moskaus Aussichten eher düster. Selbst wenn die Russen Hmeinim und Tartus behalten sollten, wird der Kreml in absehbarer Zeit keine dominante Rolle in Syrien mehr spielen können. Daran werden auch die Unruhen nichts ändern, die in einigen syrischen Provinzen ausgebrochen sind.

Alexander Friedman

wurde 1979 in Minsk geboren. Der promovierte Historiker arbeitet als Wissenschaft­licher Mitarbeiter für Zeit­geschichte und Ost­europäische Geschichte an der Universität des Saarlands.

Die dramatischen Ereignisse in Syrien stehen seit Wochen im Mittelpunkt der internationalen Öffentlichkeit. Putin empfindet diese wohl als äußerst unangenehm und ignoriert sie daher schlichtweg. Sein Pressesprecher Dmitrij Peskow und das russische Außenministerium beschränken sich auf vage, allgemeine Bemerkungen. Die Staatspropaganda versucht hingegen, die Misserfolge in Syrien zu verschleiern.

Nach Beginn der Rebellenoffensive suchten Kreml-treue Autoren zunächst nach einer ukrainischen Spur und wollten Kyjiw hinter den Islamisten sehen. Als Hauptdrahtzier der „Terroristen“ wurden schnell die USA, die Türkei und Israel ausgemacht. Zwar nahm man die Lage in Syrien ernst, zeigte sich jedoch optimistisch: Der Aufmarsch der „Terroristen“ werde durch die syrische Armee mit russischer und iranischer Unterstützung gestoppt werden. Nach Assads Sturz kippte die Stimmung abrupt: Die militärische und politische Bedeutung Syriens wurde plötzlich heruntergespielt. Einzelne radikale Propagandisten gingen sogar so weit, den zuvor gefeierten „eisernen Herrscher“ Assad zu kritisieren. Ihm wurde vorgeworfen, mit dem Westen geflirtet, unentschlossen gehandelt, eher Teheran als Moskau Gehör geschenkt und „weise“ russische Ratschläge ignoriert zu haben, wodurch er die Kontrolle über seine eigene Armee verloren habe.

Immerhin: Bisher hat sich die Prognose nicht bewahrheitet, dass die neuen Machthaber die Russen aus Syrien vertreiben und etwa die Militärstützpunkte schließen würden. Daher erschienen in Russland jetzt auch vorsichtig-optimistische Einschätzungen. Von einer russischen „Riesenniederlage“, möglicherweise der größten außenpolitischen Niederlage seit den 1990er Jahren, will man in Moskau jedenfalls nichts wissen. In Russland spricht man lieber, wie etwa der berüchtigte Politikwissenschaftler Sergej Markow, von einer „geopolitischen Panne“. Und diese „Panne“, so heißt es, sei zu verkraften – entscheidend sei, die Ukraine „heim ins Reich“ zu holen.

Syrien als Nebenschauplatz des Ukraine­krieges? Ähnlich wie in Moskau werden die Entwicklungen in Syrien auch in Kyjiw mit großem Interesse beobachtet: Die Ukraine hat die Rebellen möglicherweise unterstützt und bietet der syrischen Regierung nun eine Zusammenarbeit an. Im Kontext der von Trump angestrebten Friedensverhandlungen über die Ukraine kommt Kyjiw eine russische Demütigung durchaus gelegen. Allerdings ging das Kalkül mancher ukrainischer und westlicher Ex­per­ten*­in­nen nicht auf. Anders als sie erwartet hatten, hat Russland keine Truppen aus der Ukraine nach Syrien verlegt, um Assad zu retten. Auch dürfte die Hoffnung trügen, dass Kyjiw russische Waffen aus Beständen der Assad-Armee bekommt.

Es ist unwahrscheinlich, dass die Ukraine die russischen Waffen des gestürzten Assad-Regimes erhält

Stattdessen spürt die Ukraine zunehmend die Konsequenzen der russischen Blamage in Syrien. Gereizt, frustriert und bestrebt, die Schmach von Damaskus möglichst schnell zu verdrängen, will Putin seine Stärke und Entschlossenheit nun demonstrieren – und setzt die Zerstörung des Nachbarlandes fort.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen