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debatteRechte Widersprüche

Über soziale und ökonomische Fragen waren extrem Rechte noch nie einig. Ein Blick in die Ideengeschichte hilft, aktuelle Debatten zu verstehen

Man dürfe „nicht unsozial sein, der Ausgleich von Lebenschancen, Teilhabe und Lebensrisiken ist ein rechtes Anliegen.“ Was als eher linke Ansicht gilt, steht in einem Buch von Maximilian Krah, dem skandalträchtigen Spitzenkandidaten der AfD. Welche Rolle spielen Soziales und Wirtschaft in extrem rechtem Denken?

Die AfD war in ihrer Anfangszeit mit Bernd Lucke national-ordoliberal. Kritik am Euro und an der Bürokratie der europäischen Institutionen spielten eine große, Sozialpolitik eine kleine Rolle. Der Flügel um Björn Höcke, der seit 2016 immer größeren Einfluss erlangte, betont dagegen soziale Positionen. Wie seinem Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“ zu entnehmen, ist Höcke gegen den Abbau sozialer Standards, gegen Raubtier­kapitalismus und Globalisierung. Dabei schwingen antisemitische Untertöne mindestens mit. Doch die sozialstaatlichen Leistungen sollen auf Deutsche beschränkt werden. Mi­gran­t*in­nen werden ausgegrenzt.

In der AfD verlief ein Konflikt zwischen dem national-liberalen und dem national-sozialen Flügel, die 2020 einen Kompromiss in der Rentenpolitik fanden. Seitdem scheint der Konflikt befriedet zu sein, könnte aber jederzeit wieder aufbrechen. Wichtig daran ist, dass nicht nur der völkische Flügel um Höcke radikal ist, sondern auch der national-ordoliberale. Um die Spannungen in der AfD und der gesamten Neuen Rechten zu verstehen, lohnt ein Blick in die Ideengeschichte.

Höcke bezeichnet seine Position als „solidarischen Patriotismus“ und bezieht sich etwa auf Karl Rodbertus, der Mitte des 19. Jahrhunderts Ideen zu einem Staatssozialismus entwickelte und damit Ferdinand Lassalle beeinflusste.

Bedeutsam für neurechtes Denken ist Oswald Spengler, der versuchte, Ideen für einen nichtmarxistischen Sozialismus zu entwickeln. Entgegen dem Marx’schen Materialismus betonte er Kultur, Sitte, Religion und Seelentum. Der preußische Geist strebe nach Ordnung, Pflicht und Disziplin. Unter Liberalismus versteht Spengler die Atomisierung der Gesellschaft und den Zerfall von Gemeinschaft und Tradition. Der Kapitalismus bringe Krisen hervor und spalte die Gesellschaft in reiche und arme Klassen. Der „preußische Geist“ richte sich dagegen und solle wieder Ordnung schaffen, auch in der Wirtschaft.

Karl Martin Hauff ist promovierter wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seine Schwerpunkte sind Politische Ökonomie und Wirtschafts­soziologie. Er lehrt zu autoritärem Wirtschafts­denken der AfD und der Neuen Rechten.

Preußischer Sozialismus bei Spengler heißt also, der Staat muss eingreifen, wenn die Wirtschaft in Krisen und Unordnung gerät. Der Staat soll demnach auch dafür sorgen, dass Klassengegensätze ausgesöhnt werden und die gesellschaftlichen Gruppen sich für die nationale Sache vereinen. Dafür soll die Macht der Gewerkschaften gebrochen werden. Ein starker Staat ist der Garant für Ordnung. Gleichzeitig betont Spengler, dass das Privateigentum nicht abgeschafft, sondern „sittlich eingehegt“ werden soll. „Eigentum verpflichtet“ ist der Leitspruch. In Texten aus Mitte der 1920er Jahre äußert Spengler immer stärkere Kritik an Steuern, die die Unternehmen er­drücken würden. Damit kommt Spengler bei Unternehmern gut an und wird etwa vom Düssel­dorfer Industrieclub zu Vorträgen eingeladen.

Spengler kämpft gegen zwei Fronten: den Individualismus und Egoismus des Liberalismus sowie den Materialismus und Kollektivismus des Marxismus. Doch sein dritter Weg bleibt widersprüchlich. Eine Tradition rechter Kapitalismuskritik bis heute. Begeistert von Spenglers Ideen waren etwa die Gebrüder Strasser, die den sogenannten linken Flügel der NSDAP geführt hatten. Sie betonten den Aspekt des Sozialismus im ­Nationalsozialismus, forderten mehr Planwirtschaft. Damit gerieten sie in Konflikt mit Hitler, der die Industrie, die er für die Aufrüstung brauchte, nicht verschrecken wollte. Obwohl Spengler Bürokratie und Besteuerung kritisierte, plädierte er für einen autoritären Staat.

Carl Schmitt, der zu Beginn der Weimarer Republik mit seiner Kritik am Parlamentarismus auffiel und später ein Kronjurist des Dritten Reiches wurde, schrieb 1932, dass ein Staat, der sich zu sehr in die Gesellschaft einmische, seine Au­torität verliere. Daraus folgt der paradoxe Schluss: Nur ein schlanker Staat könne ein starker Staat sein. Dieser Gedanke prägte den damals entstehenden Ordoliberalismus.

Höcke bezieht sich auch auf Wilhelm Röpke und Walter Eucken, Gründerväter des Ordoliberalismus. „Ordo“ steht für Ordnung. Demnach bedarf es eines Staats, der den Rahmen für Marktwirtschaft garantiert. Ansonsten solle sich der Staat zurückhalten.

Das Wirtschaftsdenken der Rechtsextremen ist gefangen zwischen Staatskritik und Verabsolutierung des Staates

Besonders Röpke steht global agierenden Konzernen kritisch gegenüber. Sein Ideal ist eine dezentrale Marktwirtschaft mittelständischer Familienunternehmen, genau wie es in Wahlprogrammen der AfD wirkt. Auch sie fordert Steuersenkungen und Bürokratieabbau. Der Staat solle sich nicht, vor allem nicht durch eine angebliche Gender-Politik, in die Gesellschaft einmischen und soll die traditionelle Familie schützen. Die sozialdarwinistische Legende vom angeblich faulen Bürgergeldempfänger ist in der AfD weit verbreitet. In diesen Punkten ist das Programm der AfD seit 2013 gleich geblieben.

Doch ist Ordoliberalismus wirklich mit rechter Kapitalismuskritik zu vereinbaren, wie es Höcke darzustellen versucht? Bei Maximilien Krah werden die Spannungen deutlich. Einerseits schreibt er, rechte Politik dürfe nicht unsozial sein, der Markt und die Macht der Superreichen solle eingehegt werden. Andererseits fordert er „massive Deregulierung und Steuersenkung“. Ähnliches findet sich bei anderen Neurechten wie Götz Kubitschek: Er will viele Wirtschaftsbereiche verstaatlichen und gleichzeitig die Bürokratie verschlanken. Die Beispiele zeigen: Das Wirtschaftsdenken der Rechtsextremen ist, damals wie heute, gefangen im Widerspruch zwischen Staatskritik und Verabsolutierung des Staates. Man könnte sagen: Es hat Tradition.

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