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debatteEin Versagen der Medien

Corona spaltet die Gesellschaft. Dies ließe sich verhindern, wenn die JournalistInnen ihre Perspektive ändern würden. Drei Vorschläge

Foto: Michael Jungblut

Maren Urner

ist Neurowissenschaftlerin, Professorin für Medienpsychologie und Mitgründerin des Online-Magazins Perspective Daily. Ihr aktuelles Buch „Raus aus der ewigen Dauerkrise“ erschien dieses Jahr im Verlag Droemer.

Ich habe keine Lust mehr!“ „Ich kann nicht mehr!“ „Diese Idioten!“ Müde, erschöpft, überfordert oder gar wütend. Das ist meine aktuelle und selbstverständlich subjektive Sammlung der Stimmungen im In- und auch dem ein oder anderen Ausland. Wobei ich das „aktuell“ nicht mehr wage zeitlich ein- oder abzugrenzen. Nach knapp zwei Jahren Pandemie scheinen Zeit und deren Wahrnehmung noch relativer geworden zu sein. Im privaten und gesellschaftlichen Diskurs reiht sich zudem eine Streitfrage nahtlos an die nächste. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit hier ein paar Beispiele des Staffelteams der Uneinigkeiten. Maske, Schulschließung, Sportveranstaltungen inklusive Olympia, Kontaktbeschränkungen, Testen, Lockdown, Shutdown, Quarantäne. Unangefochten auf dem ersten Platz der Staf­fel­läu­fe­r:in­nen steht aber ein Thema, das es geschafft hat, Familien, Freundschaften und Freiheit infrage zu stellen. Die Impfung. Ganz vorne dabei ist diejenige, auf deren Lauftrikot „mRNA“ steht.

Wie konnte es so weit kommen? Oder anders formuliert: Wer trägt die Schuld an der Impfmisere? Schließlich muss der ganze Frust über verpasste, verschobene und verrückte (Zoom-)Hochzeiten, (Digital-)Konzerte und (Team-)Konferenzen ja auf irgendwas, besser noch irgendwen, gerichtet werden.

Stopp! Dieser Artikel soll anders sein. Er soll nicht die x-te Schuldzuweisung verteilen, er will sich nicht an der Olympiade der Rechthaberei beteiligen und er will erst recht nicht zynisch daherkommen. Stattdessen möchte ich – fast frei von Wut und Frust – auf die Rolle der Medien bei dem aktuellen Impfunmut hinweisen.

Ja, ich bin davon überzeugt, dass die Berichterstattung der letzten Monate zu einem großen Anteil dafür verantwortlich ist, dass wir ziemlich genau ein Jahr nach der ersten Corona-Impfung im eigenen Land nun auf eine Bevölkerung schauen, in der Abschottung, Rechthaberei und ein Mix aus Verunsicherung und Misstrauen eine zu große Rolle spielen, um die wichtigste Frage zentral zu denken: Wie können wir diese Pandemie besiegen?

Statt mich nun aber an Negativbeispielen abzuarbeiten und den Rest des Artikels mit Belegen für meine These zu füllen, möchte ich versuchen, das zu praktizieren, was ich als Alternative für eine bessere Berichterstattung vorschlage und fordere. Ihr oberstes Ziel wäre es, den demokratischen Diskurs zu fördern. Gegen Abschottung, Rechthaberei und Misstrauen braucht es drei Zutaten beziehungsweise Fragen:

Zutat 1: Worum geht es wirklich? Oder: Neue Gruppen und Geschichten abbilden.

Frau versus Mann, jung versus alt, links versus rechts, Impfgegner versus Impfbefürworter: Sobald wir in einen zwischenmenschlichen Austausch treten, entscheidet unser Gehirn blitzschnell, ob jemand dazugehört oder nicht. Schließen wir andere Menschen in unsere Gruppe(n) ein, verhalten wir uns ihnen gegenüber hilfsbereiter und vertrauen ihnen stärker. Umgekehrt strecken wir Gegnern seltener die helfende Hand entgegen und suchen nach Gegenargumenten für deren Positionen. Hand aufs Hirn: Wie häufig geht es medial um Ab- und Ausgrenzung, liegt der Fokus darauf, was Menschen voneinander trennt und unterscheidet? Zu oft.

Um die argumentativen und emotionalen Gräben, die wir dadurch in den vergangenen Monaten fleißig verbreitert haben, wieder zuzuschütten oder gar zu überbrücken, benötigen wir einen medialen Diskurs, der Gruppen neu definiert. Das kann gelingen, indem bei sämtlichen Themen der kleinste gemeinsame Nenner und damit das Verbindende in den Fokus gerückt wird. Gepaart mit der offensichtlichen Antwort auf die Frage „Worum geht es wirklich?“ kann so ein nach vorn gerichteter Diskurs entstehen, der uns aus dem Verteidigungsmodus befreit. Denn klar ist: Wir alle wollen das Virus besiegen!

Zutat 2: Was, wenn wir es wirklich wollen? Oder: Bessere Fragen stellen.

Gegen Einschränkungen, gegen neue Regeln, gegen neue Pflichten. Ständig lesen, hören und sehen wir, wogegen andere sind, und stimmen gern ein in den Mix aus Abwehrhaltung und Rechthaberei. Vor allem lernen wir medial, dass wir gegen (vermeintliche) Freiheitsbeschränkungen zu sein haben, und werden dabei viel zu selten an den siamesischen Zwilling der Freiheit erinnert: die Verantwortung.

Die Frage nach dem Wofür richtet unsere Gedanken nach vorn, lässt uns neugierig, kreativ und mutig werden

Ich wage kurz zu träumen und stelle mir eine Berichterstattung vor, in der es primär darum geht, das Virus zu bekämpfen. Was dabei enorm hilft, ist, „wofür“ statt „wogegen“ zu fragen. Denn vergessen wir, „wofür“ wir morgens aufstehen, werden wir unglücklich, verbittert und verlieren uns. Die Frage nach dem Wofür richtet unsere Gedanken nach vorn. Sie lässt uns neugierig, kreativ und mutig werden. Gleichzeitig erleichtert sie es uns, die verbindenden Elemente zu anderen Menschen zu sehen. Sind wir nicht alle dafür, dass Kinder spielen und lernen können, dass möglichst jeder gesund ist und wir kulturelle Veranstaltungen genießen können?

Zutat 3: Was kann ich tun? Oder: Vertrauen schaffen.

Vertrau mir! Ein tiefer Blick in die Augen, wie wir ihn aus Märchen und Blockbustern kennen, reicht im digitalen Zeitalter nicht aus, um Vertrauen zu erzeugen. Längst wissen wir auch, dass viele Menschen, die sich nicht impfen lassen, primär den Medien und/oder der Regierung nicht trauen. Um Vertrauen zu schaffen, müssen sich Medienschaffende ihrer enormen Verantwortung stärker bewusst werden. Sie müssen sich in Demut üben, um zu akzeptieren, dass sie niemals nur abbilden, sondern immer auch verändern – weil jedes Wort, jedes Bild und jeder Ton die Gehirne der Rezipierenden verändert. Wollen sie dem Anspruch gerecht werden, den demokratischen Diskurs zu fördern und Menschen handlungsfähig zurückzulassen, müssen sie die Frage in den Mittelpunkt stellen: Was jetzt?

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