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das wird„Solidarität ist klein“

Die Osnabrücker Friedens­gespräche fragen: „Antisemitismus – lässt er sich verhindern?“

Julia Bernstein 50, ist Soziologin und Professorin für Diskriminierung und Inklusion in der Einwanderungsgesellschaft an der Frankfurt University of Applied Sciences. Ihr Forschungsschwerpunkt ist der Antisemitismus.

Interview Harff-Peter Schönherr

taz: Frau Bernstein, in Deutschland sind antisemitische Einstellungen und antisemitisch motivierte Gewalttaten auf einem „beständig hohen Niveau“, sagt die Amadeu Antonio Stiftung. Steigt ihre Zahl nicht sogar?

Julia Bernstein:Ja, seit Jahren. Aber die Frage ist, wie man das misst. Die meisten antisemitischen Taten, die gemeldet werden, Friedhofsschändungen zum Beispiel, haben rechtsextremistischen Charakter. Der Großteil der Vorfälle wird von den Betroffenen gar nicht angezeigt. 90 Prozent von ihnen sehen Antisemitismus in Deutschland als großes Problem, 70 Prozent geben an, dass sie oder ihre Familie in den letzten fünf Jahren Anfeindungen erlebt haben.

Wer sind die Täter?

Antisemitismus geht von allen Bevölkerungsschichten aus. Das sind nicht nur Rechte. Da sind auch Linke dabei, die NS-geschichtlich sehr aufgeklärt sind, aber JüdInnen durch sogenannte Israelkritik als Repräsentanten des Staates Israel angreifen können. Da sind Leute dabei, die an Verschwörungsmythen glauben. Antisemitismus hat viele Ausprägungen. Oft bleibt er unbestraft, oft wird er normalisiert.

Wie zeigt er sich?

Menschen werden angegriffen, weil sie den Davidstern tragen oder Hebräisch sprechen. Auf dem Schulhof ruft jemand „Kindermörder!“ Die Kippa wird vom Kopf geschlagen. Das ist Alltag. Oft folgt wenig bis keine Reaktion auf den Vorfall vom Umfeld. Solidarität mit den Betroffenen in den Taten ist klein. Diskussionen wie um das Schmäh-Relief „Judensau“ an der Stadtkirche von Wittenberg sind selten. Dass es dort als geschichtliches Erbe und im öffentlichen Raum bleiben darf, obwohl es religiöse Gefühle der JüdIn­nen weiterhin diskriminiert, ist verstörend.

Sie haben in Schulen geforscht und dort viel Antisemitismus gefunden.

Es ist wichtig gerade im Bildungsbereich Reflexions- und Sensibilisierungsprozesse in Gang zu setzen. Besonders erschreckend ist: Diese Übergriffe geschehen ja nicht einfach irgendwo. Sie geschehen im Land der Shoa, an einem Ort, dem eine zweite Chance gegeben wurde. Sie geschehen trotz aller Diskurse, trotz aller Gedenkstätten, oft in sehr enthemmter Form.

Viele denken ja: Antisemitismus gehört der Vergangenheit an.

Ja, da wird historisiert. Das kollektive Selbstbild ist, man sei aufgeklärt über die Geschichte, über die Shoa, der Antisemitismus sei ein geächtetes Phänomen. Zudem verstehen viele nicht, dass es auch Antisemitismus gibt, der keine Nähe zum Nationalsozialismus hat. Hinzu kommt die Schlussstrich-Mentalität. Wir erleben eine Spaltung zwischen dem ritualisierten, offiziellen Gedenken, zu dem jedem sofort die richtigen Sonntagsparolen einfallen, und dem persönlichen, familiären Erinnern. Zu dem wird unter den Nachkommen der Täter und Mitläufer oft bis heute geschwiegen.

Lieber entlastet man sich von der Schuld?

Podiums­diskussion „Anti­semitis­mus – lässt er sich verhindern?“ mit Julia Bernstein, Franz Rainer Enste (Niedersächsischer Landesbeauftragter gegen Antisemitismus) und Viktoria Ladyshenski (Geschäftsführerin der Jüdischen Gemeinde in Kiel): Do, 27. 10.,19.15 Uhr, Osnabrück, Schlossaula

Nur drei Prozent sagen, dass ihre Vorfahren Nazis waren. Weit über 30 Prozent behaupten, sie seien selbst Opfer gewesen. 18 Prozent sagen, ihre Vorfahren hätten JüdInnen gerettet – in der Realität waren es 0,016. Ich verstehe das nicht: Wie kann ich in einer Wohnung aufwachsen, in der ein Foto des Großvaters in Naziuniform hängt und das nicht merken und über die Bedeutung dessen bis heute nicht sprechen?

Was müsste geschehen?

Die Betroffenenperspektive müsste im Vordergrund stehen. Stattdessen findet oft eine Täter-Opfer-Umkehr statt. Die Frage, die ich in Vorträgen am häufigsten höre, ist diese: Wie kann ich Israel kritisieren, ohne Antisemit zu sein? Kaum jemand fragt: Was kann ich tun, damit sich JüdInnen in Deutschland geschützt fühlen?

Welche These vertreten Sie in Osnabrück?

Ich zeige, wie die Situation aus der Sicht der in Deutschland lebenden JüdInnen aussieht, was sie denken, wenn Querdenker auf Corona-Demos „Judensterne“ mit der Aufschrift „Ungeimpft“ tragen – Menschen, bei denen JüdInnen offensichtlich kein Adressat sind.

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