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Neues Gesetz gegen sexuelle GewaltErfolgreicher Kampf für den Schutz von Kindern

Der Bundestag hat das Gesetz gegen sexuelle Gewalt an Kindern verabschiedet. Zu verdanken ist das der Missbrauchsbeauftragten Kerstin Claus.

Die Missbrauchsbeauftragte Kerstin Claus Foto: Jacobia Dahm

Für Kerstin Claus muss der vergangene Freitag im Bundestag wie ein Krimi gewesen sein. Die Missbrauchsbeauftragte saß auf der Besuchertribüne des Plenarsaals und wartete darauf, dass das sogenannte Missbrauchsgesetz verhandelt wird.

Das stand am Nachmittag auf der Tagesordnung, nach der Migrationsdebatte. Die stürzte den Tag allerdings in ein Chaos – scharfe, beleidigende Reden, Verzögerungen, Aufruhr, namentliche Abstimmung – und alle folgenden Tagungsordnungspunkte verzögerten sich.

Am Ende passierte das Gesetz mit dem sperrigen Namen „Gesetz zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ kurz nach 20 Uhr den Bundestag – komplett geräuschlos. Das erste auch international weitreichende Gesetz zum Schutz vor sexualisierter Gewalt an Kindern wurde mit den Stimmen der Regierungsparteien und der Union angenommen. Das kann man der Turbulenz des Tages zuschreiben – oder aber mit der Personalie Kerstin Claus in Verbindung bringen.

Die Missbrauchsbeauftragte nämlich hat in den vergangenen Monaten nahezu jede Möglichkeit gesucht und genutzt, um bei allen Parteien für das Missbrauchsgesetz zu werben. Sie machte gezielt Termine mit Abgeordneten und lenkte bei zufälligen Begegnungen das Gespräch auf das Gesetz. Wie wichtig das war, zeigt auch, dass neben Claus auf der Zuschauertribüne die erste Missbrauchsbeauftragte und frühere Bundesfrauenministerin Christine Bergmann sowie Angela Marquardt, Mitglied des Betroffenenrats bei der Missbrauchsstelle, mitfieberten.

Meilenstein im Kampf gegen sexuelle Gewalt

Das neue Gesetz darf durchaus als Meilenstein im Kampf gegen sexuelle Gewalt bezeichnet werden. Denn jetzt ist der Kampf gegen Missbrauch in Deutschland Regierungspflicht, egal in welcher Konstellation sich die nächste Koalition aufstellt.

Das Gesetz enthält mehr Bestimmungen für die Prävention, nimmt sich verstärkt der digitalen Gewalt an, verfestigt die Zusammenarbeit mit Behörden und mit Kinder- und Jugendschutzorganisationen, regelt das Recht auf Akteneinsicht Betroffener. Jetzt können Betroffene unter anderem Akten, in denen ihr eigener Missbrauch dokumentiert ist, noch bis ins hohe Alter einsehen, bisher war das nur bis zum 50. Lebensjahr möglich. Zudem muss die nächste Bundesregierung die Aufklärungskooperation zwischen Bund und Ländern stärken und diese auf die europäische Ebene ausweiten.

Wie gut Prävention, Aufarbeitung und Aufklärung laufen, erfährt die Öffentlichkeit künftig mindestens einmal im Jahr, wenn die Missbrauchsbeauftragte dem Parlament darüber berichtet – und Forderungen stellt.

Täglich 50 Kinder Opfer von sexueller Gewalt

Laut Bundeskriminalamt (BKA) erleben täglich rund 50 Kinder und Jugendliche sexuelle Gewalt – von ihren Eltern, Verwandten oder anderen ihnen nahe stehenden Personen, darunter in kirchlichen oder Sportvereinen. Doch die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein, die BKA-Zahl gibt nur die gemeldeten Fälle wieder.

Das Gesetz genoss nicht die höchste Priorität. Zu groß waren die Widerstände aus Union und FDP. Und dann brach auch noch die Ampel auseinander. Bis Mittwoch, also zwei Tage vor der chaotischen Bundestagsdebatte, war unklar, ob das Gesetz überhaupt eine Chance hat. „Hätte ich mir gewünscht, dass das Verfahren schneller läuft, statt jetzt über Monate auf der Kippe zu stehen? Selbstverständlich“, sagt die Missbrauchsbeauftragte.

Neben Claus, die offensichtlich mit großer Nachhaltigkeit verhandelte, machten auch Kinderschutz- und Betroffenenverbände Druck. Claus sagt: „Es ist ein Gemeinschaftswerk.“

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