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das portraitMohammed al-Baschir ist Syriens neuer Premierminister

Foto: Omar Haj Kadour/afp

Syrien hat einen neuen Premierminister. Am Montag wurde mit Mohammed al-Baschir ein Mitglied der Oppositionellengruppe Hai’at Tahrir asch-Scham (HTS) zur politischen Führungsperson ernannt, das bereits Erfahrung im Regieren hat. Al-Baschir hat seit Januar dieses Jahres als Regierungschef den größten Teil des Gouvernements Idlib im Nordwesten Syriens verwaltet. Dorthin waren in den letzten Jahren viele Oppositionelle vor dem Assad-Regime geflüchtet. Seit 2017 wird die Region von einem zivilen Gremium der HTS gelenkt, die zum Sturz des langjährigen Diktators Baschar al-Assad vor wenigen Tagen maßgeblich beigetragen hatte.

Im November 2017 startete die HTS-Miliz eine Initiative zur „zivilen Administration der befreiten Gebiete“, in der sie eine Art Regierung bestimmte. Lokale Räte wurden gezwungen, die regierungsähnlichen Strukturen anzuerkennen. Im Kabinett der selbstbenannten „Heilsregierung“ (Syrian Salvation Government, SSG) saßen dann Minister, die teils unparteiische Technokraten, teils HTS-nahe Persönlichkeiten waren. Das Gremium übernahm zivile, gerichtliche und kommunale Aufgaben.

Eine lupenreine Demokratie waren die Idliber Strukturen aber sicherlich nicht: Kritiker wurden von HTS gefangen genommen und in einigen Fällen gefoltert, das haben verschiedene Menschrenrechtsorganisationen dokumentiert. Die Gruppe hat sich allerdings vom global-dschihadistischen Anspruch radikaler Kämpfer wie dem „Islamischen Staat“ oder al-Qaida distanziert. Trotzdem vertritt sie einen politisch-sunnitischen Islam. Frauen waren von politischen Ämtern bislang ausgeschlossen. Dem Regierungsgremiun war auch ein Justizministerium mit einem Netz von Scharia-Gerichten unterstellt.

Al-Baschir stammt aus Idlib selbst, er wurde 1983 in Jabal Zawiya geboren. Er studierte Elektrotechnik an der Universität Aleppo und arbeitete seit 2011 als Leiter der Abteilung für Präzisionsinstrumente in einem staatlichen Gaswerk. Dort soll er den Bau eines Gaswerks überwacht haben. Nach den Massenprotesen gegen die Assad-Regierung 2011 kündigte er dort und ging in die Politik. Er fand Aufnahme im militärischen Bereich in den „Reihen der Revolutionäre“, wie es in seinem von der HTS veröffentlichten Lebenslauf heißt.

2021 erhielt er einen Abschluss im „Scharia-Recht“ an der Universität Idlib, auch Kurse in Recht und Verwaltungsplanung soll er belegt haben.

Zwischen 2022 und 2023 war al-Baschir in dem von HTS verwalteten Gebiet in Idlib quasi „Minister für Entwicklung und humanitäre Angelegenheiten“. Im Januar 2024 wählte ihn dann der Schura-Rat der „Heilsregierung“ zum Premierminister. In seinem Wahlprogramm erklärte Baschir zwei Dinge zu seinen Prioritäten: eine digitalisierte Bürokratie sowie die Vereinfachung und Automatisierung von Regierungsdiensten. Bei seiner Ernennung zum Premierminister in Idlib hatte er das Versprechen gegeben, die Wirtschaft mit Investitionen zu fördern und zudem auf die humanitären Bedürfnisse der Tausende Vertriebenden in der Region einzugehen.

Nun soll er zunächst bis März 2025 eine Regierung leiten, wie Baschir selbst in einer Fernsehrede sagte. Zu einer Vision oder Strategie hat er sich bislang nicht geäußert. Auch nicht dazu, wie ein politischer Übergang nach der Diktatur aussehen könnte. Zivile Ak­ti­vis­t*in­nen hatten sich bisher mit der HTS in Idlib arrangiert – sie wurde von vielen als das kleinere Übel gesehen. Doch jetzt ist die Alternative kein brutales Regime mehr. Julia Neumann

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