Zwist vor EU-Gipfel: Scholz’ unangenehme Reise
Zwischen Frankreich und Deutschland herrscht schlechte Stimmung. Grund sind Meinungsverschiedenheiten in der Verteidigungs- und Energiepolitik.
Kurz vor 11 Uhr verlässt Scholz die Bundestagsdebatte – er muss nach Brüssel. Dort wartet Ärger. In der EU sind nicht alle glücklich mit dem Berliner Kurs. Sogar der sonst rauflustige Oppositionsführer Friedrich Merz wünscht dem Kanzler ganz staatstragend „jeden möglichen Erfolg in der EU“. In der EU gibt es Kritik an der deutschen Gaspreisbremse – Berlin handele egoistisch und nutze seine finanzielle Potenz auf Kosten anderer. Scholz verteidigt seinen Kurs. 200 Milliarden für gut zwei Jahre seien „zwei Prozent vom BIP“ – und genau so viel würden auch Frankreich, Italien und Spanien für ihre nationalen Gaspreisdeckel locker machen.
Der deutsche Kurs für die Verhandlungen in Brüssel ist klar erkennbar: Einmal Ja und zwei Mal Nein. Scholz befürwortete einen gemeinsamen Einkauf von Gas durch die EU. Doch einen EU-weiten Gaspreisdeckel lehnt die Ampel ab. Damit sei die Gefahr verbunden, so Scholz, dass „die Produzenten ihr Gas anderswo teurer verkaufen und wir Europäer nicht mehr Gas bekommen, sondern weniger“. Man werde sich daher Pläne für einen Gaspreisdeckel in der EU „sehr genau“ anschauen. Der Kanzler hofft, Gasexporteure wie die USA, Norwegen und Kanada zu Preissenkungen bewegen zu können.
Das zweite Nein gilt der Forderung, massiv EU-Mittel für die Krisenbekämpfung locker zu machen – so wie mit dem 750-Milliarden-Corona-Fonds, den Scholz als Finanzminister mitinitiiert hatte. Das sei nun unnötig. Von den 750 Milliarden stünden, so Scholz im Bundestag, noch 600 Milliarden zur Verfügung, mit denen erneuerbare Energien finanziert werden können.
Scholz kämpferisch
In Brüssel angekommen, gibt sich Scholz kämpferisch. „Es ist ganz klar, dass Deutschland sehr solidarisch gehandelt hat“, bügelt er die Kritik ab. „Wir sind die größten Unterstützer Europas“, verweist er auf den deutschen Beitrag zum EU-Budget. Doch daran zweifelt sogar sein engster EU-Partner, der französische Staatschef Emmanuel Macron. Am Vortag des EU-Gipfels hatte Macron die jährlichen deutsch-französischen Regierungskonsultationen abgeblasen. Er begründete dies mit Terminproblemen wichtiger deutscher Minister, in Berlin wurde auf die Herbstferien verwiesen.
Der wahre Grund sind jedoch Meinungsverschiedenheiten in der Verteidigungs- und Energiepolitik. In Paris komme es nicht gut an, dass Scholz US-Kampfjets kauft, statt deutsch-französische Rüstungsprojekte zu fördern, berichtet Le Monde. Auch der deutsche Alleingang beim geplanten neuen Luftabwehrsystem stieß Macron sauer auf. Den größten Zoff gibt es aber in der Energiepolitik.
Scholz ärgert sich über die französische Blockade bei der Midcap-Gaspipeline von Spanien nach Deutschland. Macron ist sauer, weil Scholz ihn nicht in seinen Plan zur deutschen Gaspreisbremse eingeweiht hat und nun auch noch einen EU-weiten Preisdeckel blockiert. „Es ist nicht gut, dass sich Deutschland isoliert“, sagte Macron zum Auftakt des EU-Gipfels. Er wolle sich bei dem zweitägigen Treffen um europäische Einheit bemühen. Zunächst setzte er sich mit Scholz jedoch zu einem Vier-Augen-Gespräch im Brüsseler Ratsgebäude zusammen. „Wir reden noch miteinander“ – zumindest dieses Signal ging von der deutsch-französischen Aussprache aus.
Ob das reicht, um den EU-Gipfel zu retten, ist fraglich. Frankreich weiß in der wichtigen Frage eines Gaspreisdeckels die Mehrheit der 27 EU-Staaten hinter sich. Deutschland ist in der Defensive, gibt sich aber wenig kompromissbereit. Einige schwierige Fragen könne man ja auch noch nach dem Gipfel „vertiefen“, sagte Scholz. Nach unbedingtem Willen zur Einigung klang das nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene