Zwischenbilanz aus dem Parlament: Die Widersacher
Wenn sie wollten, könnten Grüne, Linke und Piraten als Oppositionsbündnis den rot-schwarzen Senat gemeinsam vor sich hertreiben. Aber auch zwei Jahre und mehrere BER-Skandale später ist davon nicht viel zu spüren.
Überzeugende Redner, gemeinsame Anträge, Abendessen und Klagen am Verfassungsgericht: Es gab mal eine Zeit, da sah sich Klaus Wowereit als Regierender Bürgermeister einer geschlossenen Opposition gegenüber – jedenfalls gelegentlich. Es war die „Jamaika-Opposition“ aus CDU, Grünen und FDP, das Gegenstück zur rot-roten Koalition bis 2011. Seit der jüngsten Abgeordnetenhauswahl aber ist die Opposition weder geschlossen noch kraftvoll. Ausgerechnet Wowereit klagte: „Berlin hat eine bessere Opposition verdient.“ Dabei müsste er ihr dankbar sein: Ohne sie wäre er nicht mehr im Amt.
Es war der 6. Januar, die SPD kochte und die CDU war sauer: Wieder hatte Wowereit als Aufsichtsratschef des BER die Flughafeneröffnung verschieben müssen. Genug sei genug, war in der Koalition zu hören, Wowereit schien vor dem Abschuss – bis Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop meinte, die größte Keule auspacken zu müssen: Sie kündigte ein Misstrauensvotum an.
„Sag es, sag es“, soll SPD-Fraktionschef Raed Saleh in Richtung Fernseher gerufen haben, wo Pop zu bester Nach-„Tatort“-Zeit in den RBB-Nachrichten auftrat. Sie sprach das M-Wort tatsächlich aus, und damit war die Sache im Grunde gegessen. Von den Grünen zur Abwahl ihres Frontmanns genötigt zu werden, das wollten selbst die angesäuertsten SPDler nicht. Wenn schon, dann hätten sie ihn selbst abgeschossen.
Wowereit blieb bekanntlich Regierungschef, er steht sogar vor dem Comeback als Aufsichtsratsvorsitzender. „Mit Taktieren muss irgendwann mal Schluss“ sein, konterte Pop die Kritik, sie habe mit dem Misstrauensantrag Rot-Schwarz geeint.
Was hätte sie auch machen sollen? Hätte sie stillgehalten, wäre die Rede von der zahnlosen, zahmen Opposition gewesen. Und für einen Oppositionspolitiker ist es das Schlimmste, nicht ernst genommen zu werden. Der Grüne Benedikt Lux etwa musste das erleben: Frisch zum Parlamentarischen Geschäftsführer seiner Fraktion erkoren, wagte er einen Zwischenruf und wurde von Klaus Wowereit zurechtgewiesen: „Leichtmatrose, jetzt mal ruhig da!“
Die Opposition hatte zugegebenermaßen äußerst schlechte Startbedingungen: die Grünen monatelang zerstritten und schon bald ohne ihren langjährigen Fraktionschef Volker Ratzmann, einen guten Redner, der Wowereit fordern konnte. Die Linke nach zehn Jahren Rot-Rot in Gedanken noch Regierungspartei, die Piraten neu im Parlament und von einem Eklat zum nächsten stolpernd.
Nach zwei Jahren sind die Grünen stabilisiert, die Linken haben sich als bissige Kritiker etabliert und auch bei den Piraten gibt es aktuell mal keine großen Personalquerelen, Chauvi-Sprüche oder Intransparenz-Pannen. Doch als es in dieser Woche darum ging, die Koalition beim viel diskutierten Rückkauf der Wasserbetriebe zu einer Änderung zu drängen – da einigten sich Linke und Grüne auf einen gemeinsamen Nenner, aber von den Piraten hörte man vorerst nichts.
Einzelne Abgeordnete genießen durchaus großen Respekt bei der Regierungskoalition. Der grüne Finanzexperte Jochen Esser etwa, im Grunde der einzige, bei dessen Reden Finanzsenator Ulrich Nußbaum wirklich interessiert dreinschaut. Oder sein Fraktionskollege Andreas Otto, der als Vorsitzender ruhig durch die Sitzungen des Bauausschusses führt. Gleiches gilt für Harald Wolf von der Linken, als Exwirtschaftssenator bei den Themen Rekommunalisierung und Stadtwerke bestens im Stoff.
Es gibt mehrere Gründe, warum es mit einem geschlossenen Auftreten der Opposition nicht so weit her ist. Einer könnte sein, dass es wenig Sinn macht, sich mit den Piraten zu arrangieren, die nach jetziger Prognose dem Parlament künftig nicht mehr angehören. Aber im Grunde hätte klar sein müssen, dass Grün-Rot-Orange nicht geht: Für diese Farbkombination gibt es unter den 194 Flaggen aller UNO-Mitgliedsstaaten kein passendes Banner.
Porträts von drei Berliner OppositionspolitikerInnen lesen Sie in der Print-Ausgabe der taz.am wochenende
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Die Wahrheit
Der erste Schnee