Zwischen Angst und Faszination: Draußen ist der Wolf
Die Debatte über Wölfe wird in Deutschland geht weit über Detailfragen hinaus. Tatsächlich geht es darum, wer definieren darf, was Natur ist.
„Irgendwo sind sie immer“, sagt Albrecht noch, schließlich ist das Revier eines Rudels etwa 250 km2 groß. Weit weg und immer da – so wie die Diskussion über ihre Rückkehr. Warum wird die Debatte über die Wölfe so erbittert geführt, als ginge es um die Existenz der Beteiligten, was manchmal, aber durchaus nicht immer der Fall ist?
So aufgeheizt, dass die Namen der Jäger, die auffällig gewordene Wölfe erschießen, nicht genannt werden, weil man fürchtet, dass sie zur Zielscheibe radikaler Wolfsschützer werden. Und umgekehrt Wolfsschützer berichten, ihre Veranstaltungen würden von Landwirten und Jägern gestört.
Es sind Welten, die so weit voneinander entfernt scheinen, dass man nicht einmal dieselbe Sprache spricht: Was für die Wolfsschützer der Wolf Kurti ist, läuft für die Jägerschaft und die Landwirte als MT6 durch Niedersachsen. Und wenn Umweltverbände diese Sprechweise übernimmt, macht er sich in den Augen von Vereinen wie Wolfsschutz Deutschland bereits verdächtig.
Es geht nicht nur um Kostendeckung
Von Töten wird in der ganzen Debatte nie gesprochen: Den Abschuss der auffällig gewordenen Wölfe bezeichnen die Behörden als „letale Entnahme“, wenn die Wölfe Beute machen, wird es meist mit einem Begriff der Jägersprache „reißen“ genannt.
Will man auch in Rotenburg, dass die Wölfe entnommen werden? So direkt sage das niemand, meint Wolfsberater Albrecht. „Es heißt: Es muss etwas gemacht werden.“ Aber was?
Glaubt man Thomas Norgall vom BUND Hessen, dann gibt es ganz praktisch eine ökonomische Ebene, auf der die Nutztierhalter zu wenig entschädigt werden. Sie bekommen etwa nur Geld für Schutzzäune, aber nicht für die Arbeitszeit, um sie zu errichten.
Aber, sagt Norgall dazu, dahinter komme gleich eine zweite, schwierigere Ebene: „die Emotionen“. Da stünden einerseits diejenigen, für die die Rückkehr der Wölfe bedeute, dass es jetzt mitten in Deutschland so etwas wie Wildnis gibt. Und für die anderen, die Weidetierhalter – mit denen man sich, so bedauert es Norgall, als Umweltschützer noch stärker hätte zusammenschließen müssen – gibt es nun eine neue Ära: die mit den Wölfen. Und davor eine vergangene, bessere Zeit ohne sie.
Wer darf bestimmen, was Natur bedeutet?
„Es gibt eine Angst vor dem, was neu ist“, sagt Norgalls Kollege vom BUND Nordrhein-Westfalen, Holger Sticht. Gerade bei denen, die eine konservative Haltung als Landwirt haben, die sich gemäß dem Bibelspruch die Erde untertan machen wollen.
Philosophisch gesehen wäre das Etikett dazu das Anthropozän, ein Zeitalter, in dem Natur etwas von Menschen Gemachtes ist. Und damit kommt man zum Kern des Problems, der tiefer liegt als die Benennung der Wölfe und die Höhe der Schutzzäune: die Frage, wer bestimmen darf, was heute Natur bedeutet.
Und so ist es gar nicht weiter überraschend, dass viele derjenigen, die hier leidenschaftlich mitmischen, noch nie einen Wolf gesehen haben. So wie der Mann in der Lausitz, der zehn Jahre nach ihnen fahndete und dem auch als Holger Sticht zu Besuch war, kein Glück bei seiner Suche beschieden war.
Glaubt man Sticht, dann will eine Mehrheit inzwischen eine Natur, die nicht komplett der Kontrolle des Menschen unterworfen ist. Die Rückkehr des Wolfs – das ist für seine VerteidigerInnen die Verheißung einer Natur, die wieder zu sich selbst findet. Dazu passt, dass die Politik – der EU-Vorgabe folgend – ganz dezidiert auf eine Steuerung der Wolfspopulation verzichtet.
Auch eine Migrationsdebatte
Aber was, wenn diejenigen, die nach ihrem Verständnis möglicherweise viel näher an der Natur leben, die LandwirtInnen, SchäferInnen und JägerInnen, eine andere Auffassung haben? Nämlich dass hier unter Zwang eine dem Menschen zuträgliche Bewirtschaftung der Natur torpediert wird. Wobei man da nicht unterschlagen darf, dass die nicht so uniform ist, wie die lautesten Stimmen es jeweils vermuten lassen, und leisere wie etwa den ökologischen Jagdverband übertönen.
In Manchem erinnert die Debatte über die Rückkehr der Wölfe in ihrer Rollenverteilung an diejenige zur Migration nach Deutschland: Das Neue erscheint für die einen als Gewinn und für die anderen als Bedrohung.
Es ist aufregend, das Anthropozän zu verlassen – und sei es nur für einen kleinen Abstecher. Die Diskussion darüber ist noch lange nicht vorbei.
Mehr zum Thema lesen Sie in unserem Wochenendschwerpunkt in der gedruckten taz am wochenende oder hier
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml