Zweiter Lockdown in Irland: Iren müssen wieder zu Hause bleiben
Ab Mittwoch geht Irland in einen erneuten Lockdown. Außer notwendigen Geschäften wie Apotheken und Supermärkten schließen alle Läden.
Ab Mittwoch um Mitternacht geht Irland als erstes EU-Land in einen neuen Lockdown. Die Regierung verhängte für sechs Wochen die höchste Stufe 5 im Kampf gegen die Pandemie. Die Menschen müssen zu Hause bleiben, Besuche bei Nachbarn oder Freunden sind verboten, nur die notwendigen Geschäfte wie Apotheken oder Lebensmittelläden bleiben geöffnet. Museen, Galerien, Theater und Kinos müssen ebenso schließen wie Schwimmbäder und Fitnessstudios. Restaurants und Kneipen dürfen nur außer Haus verkaufen. Versammlungen sind auch im Freien verboten, und frische Luft darf man nur im Umkreis von fünf Kilometer vom Wohnort schnappen. Wer dagegen verstößt, muss mit empfindlichen Geldstrafen rechnen.
Nphet hatte die Maßnahmen bereits vor zwei Wochen empfohlen, aber Dublin wies das damals empört zurück. In Anbetracht der Zahlen vollzog man nun eine Kehrtwende. Am Montag gab es 1.031 neue Fälle, insgesamt sind es jetzt 51.000, mehr als 1.800 Menschen sind an Covid-19 gestorben – bei knapp fünf Millionen Einwohnern. Ziel ist es, den Reproduktionswert R auf unter eins zu senken. Derzeit liegt er bei 1,4.
Die Schulen hingegen sollen geöffnet bleiben. Sie seien „sichere Orte für Kinder“, sagte Premierminister Micheál Martin. Die Lehrergewerkschaft findet das nicht. Generalsekretär John Boyle sagte, der Umgang der Regierung mit der Krise sei chaotisch. „Werden Eltern ihre Kinder in den Schulbus setzen? Werden Schwangere oder Lehrkräfte mit Gesundheitsproblemen zur Arbeit gehen?“ Man habe nur noch eine gute Woche Zeit bis zum Ende der Herbstferien, um Antworten zu finden.
Erneuter Lockdown kostet
Ein Lehrer brachte es in einem Brief an die Irish Times sarkastisch auf den Punkt: Er lud Paare ein, ihre Hochzeit in seiner Schule zu feiern, denn da gelten keine Restriktionen. Sie dürften 300 Gäste einladen, auf Abstand oder Masken könnte verzichtet werden. Nach den offiziellen Bestimmungen sind bei Hochzeiten lediglich 25 Gäste erlaubt, Abstand und Masken sind vorgeschrieben.
Der erneute Lockdown kostet Hunderte von Millionen Euro. Laut Haushaltsplan für 2021, der vorige Woche vorgestellt wurde, werde sich die Regierung mindestens 19 Milliarden Euro borgen, um das Coronavirus zu bekämpfen und der Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. Es ist das größte Budget, das jemals in Irland verabschiedet worden ist.
Kritiker werfen der Regierung jedoch vor, stümperhaft auf die Pandemie zu reagieren. Man habe bis heute weder ein umfassendes System an Coronatests eingerichtet noch frühzeitig das Tragen von Masken empfohlen. Die Politiker verstecken sich zur Begründung ihrer Maßnahmen hinter den Wissenschaftlern – bis auf ein Mal vor zwei Wochen, als sie die Empfehlung zur Verschärfung der Maßnahmen missachteten. Dass sie nun eine Wende vollziehen mussten, beschädigt das Vertrauen in die Politik noch mehr.
Keine einzige Frau entscheidet mit
Kolumnist Fintan O’Toole stellte darüber hinaus fest, dass keine einzige Frau an den Entscheidungen beteiligt sei. Die sieben Politiker des Corona-Ausschusses werden von vier Wissenschaftlern beraten – alles Männer, obwohl genügend qualifizierte Frauen zur Verfügung stehen.
Falls die Restriktionen der Stufe 5 fruchten und am 1. Dezember wie geplant auf Stufe 3 zurückgefahren werden können, werden Zigtausende von Auswanderern nach Hause kommen, um mit der Familie Weihnachten zu feiern. Ab 1. Januar dürfte dann ein erneuter Lockdown fällig sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört