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Zweiter Bildungsweg in HamburgEine Hürde für die Abendschule

Der Hamburger Senat will die drei Schulen der Erwachsenenbildung fusionieren und Eignungsprüfungen einführen. Schüler protestieren dagegen.

Schöne Architektur: Schüler der „Abendschule Vor dem Holstentor“ wollen in ihrem Gebäude bleiben Foto: privat

Hamburg taz | Hamburg hat bislang drei staatliche Schulen, an denen Erwachsene noch mal die Schulbank drücken können: die Abendschulen „St. Georg“ und „Vor dem Holstentor“ sowie das „Hansa-Kolleg“. Nach Plan der Schulbehörde sollen alle Standorte aufgelöst werden. Stattdessen soll zum 1. August 2022 in einer leeren Schule neben dem „Atlantic“-Hotel ein neues „Zentrum für Erwachsenenbildung“ entstehen.

„Die ganze Planung ist aus unserer Sicht ein Sparmodell“, sagt Daniel Thieme vom Schulsprecher-Team der Abendschule „Vor dem Holstentor“. Lehrkräfte und Schüler hätten mehr beiläufig erfahren, dass die Justizbehörde Interesse an ihrem schönen Schulhaus mit überglastem Lichthof hat, das seit über 75 Jahren die Abendschule beherbergt. Allein schon das Gebäude mache Lust auf Schule, findet Thiemes Schulsprecher-Kollege Kolja Schirge. „Du fühlst dich hier einfach wertgeschätzt.“

Schirge ist 33 Jahre alt, hat nach der Schule Masseur gelernt und längere Zeit seine Oma gepflegt. Mit Schule, und vor allem mit Mathematik, wollte er lange nichts zu tun haben. „Als ich hier 2019 anfing, stellte sich heraus, dass ich bei Mathe teilweise Grundschulstoff nachholen musste.“ Die Abendschule hat ihm das ermöglicht. Nun macht er bald Abitur. Doch so wie ihm gehe es vielen Mitschülern. „Man hat in der eignen Schulzeit hauptsächlich drauf geachtet, nicht durchblicken zu lassen, dass man keine Ahnung hat“, erinnert sich Schirge. „Die meisten haben eine tiefe Angst, bewertet zu werden.“

Darum halten die beiden auch nichts von den Plänen der Schulbehörde, den Besuch der Abendschule von einem Eignungstest abhängig zu machen. „Das wäre eine Hürde und würde viele abschrecken“, sagt Thieme.

Viele Schüler müssen nebenbei arbeiten

Nach Darstellung der Schulbehörde ist das ganze ein großes Reformprojekt. Es gebe einen Rückgang der Schülerzahl, sagt Sprecher Peter Albrecht. Hätten 2014 noch 1.442 Schüler die Schulen besucht, seien es im vergangenen Jahr 1.306 gewesen. Außerdem gebe es eine hohe Quote von Abbrechern. Am neuen Zentrum sollen die Schülerzahlen beibehalten werden. Die Angebote sollten so attraktiv sein, dass der Abwärtstrend stoppt und die Absolventenzahl steigt.

Allerdings gehen Schüler und Lehrer davon aus, dass das Gebäude am „Atlantic“-Hotel für die Schüler aller drei Schulen zu klein ist. Mit einem „Partizipationsprozess“ in diesem Frühjahr sind sie nicht zufrieden. Kritische Anmerkungen hätten nicht den Weg in die Protokolle gefunden, ein „Ergebnispapier“ sei nicht abgestimmt worden, kritisiert die Betriebsgruppe der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in der Hamburger Lehrerzeitung.

Besonders kritisch sehen Thieme und Schirge, dass sogenanntes „Blended Learning“ geplant ist. Dabei sollen Abendgymnasiasten 40 Prozent ihrer Zeit online zu Hause lernen. „Daran sieht man, dass die Räume wohl doch zu kein sind“, sagt Thieme. Onlinelernen werde bei diesen Schülern nicht funktionieren und sollte zumindest erst mal ausprobiert werden. „Viele von uns verfallen bei schriftlichen Arbeiten in einen Panik-Modus“, ergänzt Schirge. „Es ist anstrengend, in einem Onlinekurs anwesend zu sein, wo man die Leute nicht kennt.“

Zudem seien die Abbruchquoten ein bundesweites Phänomen und hätten schlicht materielle Ursachen. „Weil es in der Regel kein Bafög gibt, müssen die Leute nebenbei arbeiten“, sagt Schirge. „In unserer Klasse haben drei Schüler aufgehört, die hochintelligent waren.“

Keine Befassung im Parlament

Laut einer Präsentation der Behörde sollte eigentlich jetzt im Herbst das Schulgesetz geändert werden. Dann wäre das Thema im Parlament. Die Schüler wollen dann demonstrieren.

Laut Albrecht ist nun aber so eine Schulgesetzänderung „gar nicht nötig“. Die Behörde überlege, die Ausbildungs- und Prüfungsordnung zu ändern oder eine neue Prüfungsordnung für Erwachsenenbildung zu ­schreiben. Beides geht ohne Parlament. Allerdings erlaubt das gültige Schulgesetz eine Zulassungsbeschränkung nach Eignungskriterien an Abendschulen nur, wenn deren Kapazität erschöpft ist. Um das zu erreichen, müsste die neue Platzzahl wohl doch reduziert werden.

Kritisch sieht die Reform die GEW. „Die Durchlässigkeit des Bildungssystems muss bleiben“, sagt Geschäftsführer Dirk Mescher. „Statt Hürden aufzubauen, ist es wichtig, die Zugänge zu erleichtern.“

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