Zweite schwarz-grüne Sondierungsrunde: Keine Liebe, keine Kabale
Gerade weil CDU und Grüne keine großen Gefühle verbinden, könnte Schwarz-Grün besser klappen als eine mit Enttäuschungen behaftete linke Liebesehe.
Zu groß seien die Unterschiede gerade in der Innenpolitik. Und in der Wohnungspolitik. Und beim Verkehr. Das ist nicht nur vom linken Flügel der Grünen zu hören oder dem Nachwuchsverband der Partei, der sich schon vorige Woche gegen Schwarz-Grün wandte. Auch der konservativere Teil der CDU argumentiert ähnlich, der mit zwei Leuten in der sechsköpfigen CDU-Sondierungsgruppe vertreten ist. Dabei zeigen die vergangenen Jahre: Die angeblich große Nähe zwischen SPD, Grünen und Linkspartei hat nicht zu reibungslosem Regieren geführt. Die großen Streitthemen dabei? Innenpolitik, Wohnungsbau und Verkehr.
Wann immer man etwa früher mal mit SPD-Fraktionschef Raed Saleh von Koalitionsoptionen redete, sprach der oft von einer größeren „kulturellen Nähe“ zu Grünen als zur CDU. Das verhinderte aber auch nicht, dass die Koalitionspartner sich von ebendieser SPD gegängelt und, ja, düpiert fühlten. Regieren auf Augenhöhe war zu oft nicht erkennbar.
Dabei waren die Erwartungen groß gewesen. Mit „Gutes Regieren“ war 2016 im Koalitionsvertrag ein ganzes Kapitel überschrieben. Gemündet ist es in Streit und in nicht zu vereinbarenden Auffassungen, wie dieses Regieren tatsächlich aussehen soll – gut oder eher traurig zu beobachten im Gezerre der Führungsfrauen Franziska Giffey und Bettina Jarasch um die Sperrung der Friedrichstraße in Mitte.
Ein schwarz-grünes Bündnis hätte eine ganz andere Ausgangslage. Das wäre keine Liebesheirat, sondern eher eine nach dem bäuerlich-pragmatischen Heiratsprinzip „Schönheit vergeht, Hektar besteht“. Die Grünen würden erst gar nicht darauf hoffen können, die CDU für eine autofreie Stadt zu begeistern. Und bei den Christdemokraten wäre klar, dass sie eine flächendeckende Videoüberwachung nicht durchbekommen könnten.
Dringend Nötiges vor Visionen
Von Anfang an würden sich beide Seiten zwangsläufig auf das Machbare beschränken. Nun ist der Einwand absehbar: Was bleibt dann noch? Und: Wo sind da die Visionen, große gesellschaftliche Projekte und der Blick auf das Berlin von 2050?
Doch in der Stadt läuft derzeit im schlichten Alltag so viel nicht rund, dass es erst mal keine Visionen, sondern viele, viele Reparaturen braucht, teils wortwörtlich: vom schlechten Zustand vieler Schulen über die Verwaltungsmisere, die Personalausweisanträge genauso betrifft wie Wohnungsbau, über marode Straßen und Brücken bis hin zur gedachten Selbstverständlichkeit: allen im wachsenden Berlin ein dauerhaftes Dach über dem Kopf zu bieten.
Bei der zwischen CDU und Grünen völlig umstrittenen Verlängerung der Stadtautobahn A100 über die Spree hinaus ließe sich genau jener Passus übernehmen, mit dem schon die bisherigen rot-grün-roten Koalitionspartner in ihrem Vertrag von 2021 das Thema von sich schoben: „Planung und Bau des 17. Bauabschnitts der A100 wird in der neuen Legislaturperiode durch die Landesregierung nicht weiter vorangetrieben“, steht dort kurz und knapp auf Seite 66. Was umso mehr gilt, weil Autobahnbau Sache der Bundesregierung ist.
Als Konflikt bliebe die Enteignung großer Wohneigentümer, von der CDU abgelehnt, bei den Grünen zumindest nicht unumstritten. In einer rot-grün-roten Koalition unter Giffeys Führung aber ließe sich die genauso wenig umsetzen wie mit der CDU und ihrem Vorsitzenden Kai Wegner.
Eine solche Konzentration auf das Machbare setzt auch ein bescheideneres Selbstverständnis voraus: dass ein Berliner Senat eben nicht wie zu Zeiten von Willy Brandt und Egon Bahr Weltpolitik macht, sondern als Stadt- und Landesregierung die Daseinsvorsorge einer 4-Millionen-Metropole zu sichern hat.
Ein Bündnis für drei Jahre
Auf dieser Basis könnten CDU und Grünen das zusammenbringen, was sie schon gemeinsam haben. Gerade beim Thema Verwaltungsreform, das so dröge klingt und doch der Schlüssel zur Lösung vieler Probleme ist, haben beide Seiten schon detaillierte Vorschläge gemacht und kämen zueinander.
Nicht unwichtig: Wer auch immer künftig koaliert, bindet sich nicht für eine komplette neue fünfjährige Wahlperiode, sondern nur für die verbleibenden dreieinhalb jener Wahlperiode, die nach der nun wiederholten Wahl vom 26. September 2021 begonnen hat. Das Projekt hieße: drei Jahre konzentriert an der Sache, jenseits jedwelcher Ideologien.
Das soll nun kein Plädoyer für eine Technokratenregierung aus lauter Experten sein. In diese Richtung ist Regierungschefin Giffey schon 2021 gegangen, als sie mit unterschiedlichem Erfolg den Unternehmer Stephan Schwarz zum Wirtschaftssenator machte und die langjährige Schulleiterin Astrid-Sabine Busse mit dem Bildungsressort betraute.
Die Ausprägung der Koalitionspartner muss und soll erkennbar sein. Anders ließe sich auch nicht herausfinden, ob Schwarz-Grün nicht auch über die nötigen Reparaturarbeiten hinaus tragfähig ist. So tragfähig, dass vielleicht doch noch die eine oder andere Vision entstehen kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland