Kaputte Schulen in Berlin: Rettung aus der Bruchbude
Nächster Notfall-Umzug einer Berliner Schule: Das Gymnasium am Europasportpark soll Anfang 2023 in ein leeres Bürogebäude ausweichen.
Man sei „mit der Schulleitung vor Ort gewesen“ und habe „gemeinsam einen Haken hinter dieses Gebäude gemacht“, sagte Krössin. Nun muss noch die Finanzverwaltung grünes Licht geben für die Übernahme der Mietkosten. Sie wolle noch diese Woche Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) das 860 Quadratmeter große Gebäude vorschlagen, so Krössin. Zumindest ein Teil der Schule könnte dann dorthin ausgelagert werden, zusätzlich will der Bezirk Container auf dem Schulhof aufstellen.
Ein Mietvertragsangebot ab dem 1. Januar 2023 für das Bürogebäude liege bereits vor, sagte Krössin. Über die Höhe der Kosten und um welches Gebäude es sich konkret handelt, wollte sie mit Hinweis auf den anstehenden Verhandlungsprozess mit der Finanzverwaltung noch nicht sagen. Dort heißt es, man befinde sich „in einem intensiven Austausch“, wie ein Sprecher erklärte, könne aber noch nichts Näheres sagen.
Das Gymnasium am Europasportpark, zwischen Velodrom und Volkspark Friedrichshain gelegen, ist extrem baufällig. In dem Plattenbau aus den 70er Jahren sind bereits Fenster aus der Fassade gefallen, weshalb ein Bauzaun Schüler*innen und Lehrkräfte auf Sicherheitsabstand zum Gebäude hält. Die Luftqualität in den Unterrichtsräumen ist erdrückend schlecht: Bei einem taz-Besuch vor einigen Wochen ließ sich in vielen Räumen aus Sicherheitsgründen kaum noch ein Fenster öffnen. Sie frage sich „jeden Morgen, ob ich die Schule noch aufschließen kann“, hatte Schulleiterin Katrin Schäffer der taz gesagt.
In Pankow gehen Schüler*innen, Eltern und Beschäftigte mehrerer Schulen auf die Straße. Sie fordern eine Korrektur der Investitionsplanung seitens des Senats. „Bereits begonnene und dringend notwendige Sanierungsprojekte in Pankow (und anderen Bezirken) sofort weiterbauen“, heißt es in dem Demo-Aufruf vom Dienstag. Los geht’s am Montag, 17. Oktober, 16.30 Uhr, S-Bahnhof Pankow, die Florastraße entlang. (taz)
Inzwischen hat die Schulleitung mit der Unfallkasse eine Vereinbarung getroffen: Man habe sich „darauf geeinigt, die Schule bei unklarer Wetterlage im Herbst und Winter (vor allem bei Sturm) ggf. für einzelne Tage zu schließen“, schrieb Schäffer am 4. Oktober nach einer Sitzung mit Elternvertretern auf der Homepage der Schule.
Gesamtelternvertreter André Mors hat schon vor Bekanntwerden der konkreten Umzugspläne vehement auf „eine zeitnahe Auslagerung“ der Schule gedrungen. Eine andere Alternative zur Schließung des Gebäudes gebe es bald nicht mehr, aber: „Homeschooling ist aus unserer Sicht allenfalls eine Lösung für einzelne Tage“, sagte Mors der taz. Auch das Zuschrauben von Fenstern sei bestenfalls Gefahrenabwehr, wirke aber „unkoordiniert“. Mors ist nach den Erfahrungen der letzten Monate jedoch skeptisch, ob der Notfallumzug tatsächlich klappt: „Es muss Geld fließen, und dann muss auch das Bürogebäude noch baulich angepasst werden.“
Warum es überhaupt so weit kommen konnte mit dem Gymnasium am Europasportpark, ist im Rückblick – auch durch politische Wechsel im Bezirksamt – schwer zu klären. Klar wird, wenn man mit Beteiligten spricht: Es gab in der Vergangenheit eine mühselige Bürokratie zwischen Bezirk und Senat. Es gab Schülerzahlen, die schneller als geplant wuchsen – was bisherige Bauplanungen wieder auf null setzte.
Kein Geld, kein Baufortschritt
Fakt ist, dass das Gymnasium aus der Investitionsplanung bis 2026 gefallen ist, die der rot-grün-rote Senat kürzlich verabschiedet hat. Weil es keine hinreichend konkreten Bauplanungsunterlagen gab, wird jetzt ein anderes Gymnasium im Bezirk zuerst grundsaniert. Das aber heißt für die Schule am Europasportpark: Wo keine Finanzmittel, da auch in absehbarer Zukunft kein Bau- oder auch nur Planungsfortschritt.
Die Finanzverwaltung hat den Bezirken allerdings eine Hintertür gelassen: Können sie gut begründen, warum eine Schule ganz besonders drängt, gibt’s Geld, damit es weitergeht – auch wenn die Schule nicht in der Investitionsplanung auftaucht.
Schulstadträtin Krössin möchte diese „Öffnungsklausel“ nutzen: Dafür will sie als ersten Schritt ein weiteres leerstehendes Gebäude anmieten, als längerfristiges Ausweichquartier für die gesamte Schule. Dieses eigne sich besser als mittelfristiger Schulstandort als die temporäre Notlösung im Bürogebäude. Dann könne man in Ruhe die marode Schule am Europasportpark grundsanieren. Dieses zweite Gebäude sei erst ab Anfang 2024 realistisch als Ausweichquartier für die komplette Schule, weil es baulich stärker verändert werden müsste.
Tatsächlich ist unklar, ob die Hintertür der Finanzverwaltung wirklich aufgeht: Mittes Schulstadträtin Stefanie Remlinger (Grüne) sagt, sie habe „noch keine schriftliche Erklärung“ gesehen. Laut Remlinger fehlen in Mitte in den kommenden Jahren bis zu 1.700 Schulplätze, weil Schulen nicht mehr in der Investitionsplanung auftauchen. Die Priorität, mit der eine Baustelle in diese Finanzplanung soll, legt die Senatsbildungsverwaltung nach Zuarbeit der Bezirke fest. Diese monieren Intransparenz.
Am Dienstag gab es zudem einen Hilferuf des Kollegiums der Anna-Lindh-Schule, der der taz vorliegt: „Wir sind erschöpft“, heißt es in dem Brief an die Schulverwaltung und den Bezirk Mitte. Zu Schuljahresbeginn musste die Weddinger Schule wegen Schimmelbefalls in ein leer stehendes Bürogebäude am Saatwinkler Damm ziehen.
Dort gebe es aber weder Pausenhof noch Mensa und auch kein Klopapier oder Seife auf den Toiletten: „Wir unterrichten ohne Material in provisorischen Räumen, aufgeteilt auf zwei Standorte zwischen Sperrmüll und Umzugskartons.“ 120 Kinder seien bereits abgemeldet worden – weshalb die Schule zum Halbjahr Personal verlieren soll, was die ohnehin herausfordernde Arbeit „im Brennpunkt“ noch schwieriger mache.
Krössin beteuert, dass sich ein Fall Anna Lindh in Pankow nicht wiederholen soll: Man wolle zwar ebenfalls in ein Bürogebäude, dort gebe es aber „einen Hof und eine Mensa-Möglichkeit“. Es sei dort „schön, sauber und trocken“. Für die Schüler*innen der Europasportpark-Schule wäre das tatsächlich nicht selbstverständlich, sondern ein Fortschritt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Privatjet auf Sylt besprüht
Haftstrafen für Letzte Generation – ohne Bewährung
Abtreibungen legalisieren
Paragraph 218 geht es an den Kragen
Kürzungen im Kulturetat von Berlin
Gehen Kassiererinnen in die Oper?
Zwangsbehandlung psychisch Kranker
Im eigenen Zuhause
Offensive in Syrien
Ist ein freies Syrien möglich?
Pressefreiheit in Israel
Bibis Medien-Blockade