Sondierung Rot-Grün-Rot in Berlin: „Ein Weiter-so will keiner von uns“

Tobias Schulze von der Linkspartei hält eine fortgesetzte Koalition gar nicht für unmoralisch. Ein Enteignungsgesetz ist für ihn unausweichlich.

Porträt von Tobias Schulze

Sieht bei der CDU eher die Protestwähler: Tobias Schulze von den Linken Foto: picture alliance/dpa/Annette Riedl

taz: Herr Schulze, am Montag loten Sie mit SPD und Grünen schon zum dritten Mal aus, ob die bisherige Koalition fortbestehen kann. Wie kommt es, dass drei Wahlverlierer meinen, weiter einen Regierungsauftrag zu haben?

Tobias Schulze: Wir haben eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus, eine größere als alle anderen möglichen Zweierkoalitionen. Und darum schauen wir natürlich, was an Zusammenarbeit möglich ist. Wir haben 2021 ja einen Koalitionsvertrag für die ganze Wahlperiode bis 2026 verhandelt, und trotz Wiederholungswahl beginnt ja jetzt keine neue fünfjährige Wahlperiode.

Das ist zwar rechtlich und technisch so, aber die Mehrheit der Wähler vom 12. Februar dürfte davon ausgegangen sein, dass nun etwas Neues beginnt.

Das ist ja auch mit Rot-Grün-Rot so, ein Weiter-so will keiner von uns.

46, wurde in Wernigerode geboren, lernte Buchhändler, studierte in Berlin, trat 1999 der PDS bei und ist Vizechef der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus und einer von drei stellvertretenden Landesparteivorsitzenden.

Aber es wäre trotzdem eine Koalition der Wahlverlierer, am stärksten bei der SPD, am wenigsten bei den Grünen.

Da muss man schon genauer hinschauen: Insgesamt hat Rot-Grün-Rot gegenüber der Wahl 2021 um fünf Prozentpunkte schlechter abgeschnitten. Das sind zwar Verluste, aber kein Erdrutsch.

Aber gibt es nicht auch so etwas wie eine moralische Komponente? Dass es nicht nachvollziehbar wäre, wenn die CDU als eigentlich klare Wahlsiegerin – zehn Prozentpunkte mehr als 2021 – in der Opposition bliebe?

Wir haben uns die Ergebnisse genau angeschaut: Die Hälfte der CDU-Wähler hat in Befragungen angegeben, dass sie aus Protest gegen die bisherige Regierung für die CDU gestimmt haben und nicht etwa, weil sie so begeistert von der Partei und ihrem Spitzenkandidaten Kai Wegner sind. Das war eine Protestwahl. Was gut ist für die Stadt und was nicht, macht sich nicht an fünf Prozentpunkten weniger oder zehn mehr fest, sondern daran, wer die besten Konzepte für die Stadt hat.

Ganz logisch ist das nicht – es gab ja Alternativen zur CDU. Die Unzufriedenen hätten etwa AfD, Tierschutzpartei oder Klimaliste wählen können. Haben sie aber meist nicht – irgendwas muss also attraktiv an der CDU gewesen sein.

Das Ergebnis Parallel zur dritten Sondierungsrunde von SPD, Grünen und Linkspartei tagt am Montag ebenfalls ab 10 Uhr der Landeswahlausschuss. Nach Sitzungsende will Landeswahlleiter Stephan Bröchler das amtliche Endergebnis der Wiederholungswahl vom 12. Februar vorstellen.

Enges Rennen Während der Termin sonst als Formalie gilt, die an der politischen Gemengelage gemäß dem vorläufigen Ergebnis nichts mehr ändert, ist das diesmal anders. Denn unter den rund 1,5 Millionen abgegebenen Zweitstimmen zur Abgeordnetenhauswahl trennen SPD und Grüne, die nach Sitzen und Prozenten gleichauf liegen, bislang nur um die 100 Stimmen. Nach neueren Medienberichten sollen es sogar nur knapp über 50 sein. Vom ersten Platz im linken Lager aber hängt ab, ob bei einer fortgesetzten links-grünen Koalition Franziska Giffey (SPD) oder Bettina Jarasch (Grüne) Regierungschefin wäre. (sta)

Ja, unzufrieden sind die Menschen in Berlin vor allem, weil es zu wenig bezahlbare Wohnungen gibt, Amtstermine zu lange dauern, ihnen die Stadt zu dreckig und zu aggressiv vorkommt und es an Schulplätzen fehlt. Ob diese Dinge mit der CDU schnell und wirksam angegangen werden, da habe ich meine Zweifel.

Bei Ihrer Partei, bei den Grünen, bei der SPD reden alle davon, dass man Lehren aus dem Wahlergebnis ziehen muss, dass sich Dinge verändern müssen – bloß ist der Eindruck, dass nicht alle dasselbe darunter verstehen.

Wir haben ja kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Wir müssen vor allem für bezahlbare Mieten sorgen. Die CDU hingegen hat versucht, alles wegzuklagen, was wir in diese Richtung unternommen haben.

Kai Wegner hat sich aber doch im Herbst in der CDU für mehr Mieterschutz starkgemacht.

Ja, da haben sie im Wahlkampf eine Kehrtwendung gemacht – mal sehen, was davon nach den Sondierungen tatsächlich übrig bleibt.

Alles rot-grün-rote Sondieren dürfte viel Aufwand für wenig Ertrag sein: Selbst wenn es zu einer Fortsetzung der Koalition kommt – die platzt doch spätestens, wenn es im Sommer beim Thema Enteignung Ente oder Trente heißt.

Warum? Egal welche Koalition regiert: Der Volksentscheid muss umgesetzt werden.

An der Spitze der bisherigen rot-grün-roten Koalition steht aber mit Franziska Giffey eine Frau, die sagt, dass sie das mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren kann. Dann müsste schon jemand anders an der Spitze der Koalition stehen.

Wir müssen noch überlegen, welche Wege möglich sind. Für die Berliner Linke ist klar, dass wir ein Gesetz auf den Weg bringen müssen. Man kann nicht fast 60 Prozent ignorieren, die beim Volksentscheid für die Enteignung gestimmt haben. Zumal auf Landesebene andere Instrumente zur Mietenregulierung fehlen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.