Zweifel an Integrations-Effekt: Frauen kritisieren Muslim-Staatsvertrag

Frauenverbände befürchten, der Vertrag könnte die Integration der muslimischen Bevölkerung eher behindern als verbessern.

Integrations-Hemmnis? Frauenverbände üben Kritik am Staatsvertrag. Foto: Andreas Gebert/dpa

HAMBURG taz | Die niedersächsischen Frauenverbände haben den Entwurf eines Vertrages mit den muslimischen Verbänden kritisiert. Die Landesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros (LAG) befürchtet, dass durch den Vertrag die Bedeutung der Religion bekräftigt und damit die Integration von Muslimen eher erschwert als erleichtert würde. Wie auch der Landesfrauenrat bezweifelt die LAG, in der die Gleichstellungsbeauftragten der Kommunen organisiert sind, zudem, dass sich die rot-grüne Regierung mit den Landesverbänden der Türkisch-Islamischen Union (Ditib) und dem Landesverband der Muslime (Schura) die richtigen Ansprechpartner gewählt hat.

SPD und Grüne in Hannover haben in ihrem Koalitionsvertrag einen Vertrag mit den Vertretern der Muslime nach Hamburger Vorbild vereinbart. Im September 2013 unterzeichnete die Landesregierung mit der Ditib und der Schura eine dahin gehende Absichtserklärung. Damit könnte Niedersachsen das erste Flächenland mit einem solchen Vertrag werden. Vereinbarungen mit den Kirchen gibt es schon seit Jahrzehnten.

Ziel des Vertrages ist es, die Muslime – wie auch die Aleviten – am kulturellen und sozialen Leben teilhaben zu lassen und sie zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung ermutigen. Er soll ihr Zugehörigkeitsgefühl und das Vertrauen zwischen der muslimischen und der Gesamtbevölkerung stärken.

Nach dem vorliegenden Vertragsentwurf würde sich das Land verpflichten, muslimische Feiertage ins Gesetz aufzunehmen. Muslimische Seelsorger sollen Zugang zu Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Gefängnissen bekommen. Ditib, Schura und die Alevitische Gemeinde sollen über fünf Jahre je 100.000 Euro jährlich zum Aufbau von Geschäftsstellen erhalten. Weitere Rechte wie das Tragen des Kopftuches und Gebetsräume in Schulen ergeben sich aus Sicht der Landesregierung aus der Rechtssprechung.

Staatsverträge mit islamischen Gemeinden und der alevitischen Gemeinde haben die Stadtstaaten Hamburg und Bremen abgeschlossen.

Mit den Kirchen gleichgestellt sind sie damit nicht, denn die Kirchen sind Körperschaften öffentlichen Rechts, die Beamte beschäftigen und für die der Staat Steuern einzieht.

Für die muslimischen Gemeinschaften werden lediglich grundgesetzlich garantierte Rechte noch einmal festgeschrieben und in Detailfragen ausformuliert. Der Vertrag sei eine „Geste“, heißt es in Hamburg.

Beide Verträge verpflichten Muslime auf die Gleichstellung der Geschlechter und die Toleranz gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen.

Im Gegenzug werden die Glaubensgemeinschaften auf die Rechtsordnung und Werte wie Humanität oder die Gleichberechtigung von Mann und Frau verpflichtet.

Für die Frauenverbände beginnt der Diskussionsbedarf schon bei den in Aussicht genommenen Vertragspartnern. Ditib und Schura seien keine anerkannten Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes. Sie repräsentierten mitnichten die Vielfalt der Muslime. „Die Ditib ist ein Religionsverein, der von der Türkei gesteuert wird“, kritisiert Silke Tödter vom Vorstand der LAG der Frauenbüros. Und auch die Schura sei kein Dachverband, der alle Muslime repräsentiere.

Zudem stelle sich die Frage, ob es diese beiden Organisationen mit der Gleichberechtigung der Geschlechter wirklich ernst meinten. „Papier ist geduldig“, sagt Tödter, der ein Bekenntnis in der Präambel des Vertrages nicht ausreicht.

Die Gleichstellungsbeauftragten befürchten, dass Gebetsräume an Schulen von streng gläubigen Muslimen okkupiert und ein religiöser Gruppendruck auf die Schüler ausgeübt werden könnte. „Wer schützt sie vor dem Druck der eigenen Community, ihre grundgesetzlich verankerten Freiheitsrechte zu leben?“, fragt die LAG in einem Brief an die Staatskanzlei.

„Die Schule soll ein neutraler Ort sein“, findet Tödter. Aber wenn Lehrerinnen das Kopftuch trügen, also eine religiöse, geschlechtsspezifische Kleidung, widerspreche das nicht der Gleichberechtigung der Geschlechter? Ganz besonders im Bildungswesen müsse auf die Gleichstellung der Geschlechter gepocht werden, findet auch Cornelia Klaus, die Vorsitzende des Landesfrauenrats, der das Thema noch nicht abschließend diskutiert hat.

Mit Blick auf die Rundfunkräte findet es die LAG sinnvoller, Migrantenorganisationen einzubinden, statt den Religionsvereinen Sitz und Stimme zu geben. „Es ist fatal, wenn man bei Migranten immer zuerst an Religion denkt“, findet Tödter.

„Es braucht eine breitere Diskussion über dieses Thema“, findet Tödter. Nötig seien Dialogforen und am Ende ein Staatsvertrag mit allen religiösen Gemeinschaften nach gleichen Standards und unter kritischer Würdigung der bestehenden Verträge.

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