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Zwanziger Jahre - KrimiBerlin vertraulich

Kommentar von Oliver Pfohlmann

Aus der Zeit, als Kaiser-Doubles beim Pornofilm begehrt waren: Volker Kutscher schreibt einen Krimi über die wilden Zwanziger.

Mit Vorbildfunktion: Die Herren aus L.A. Confidential Bild: dpa

Das nennt man wohl Pech: Da darf ein junger Kommissar endlich einen Mordfall lösen - und steht, am Tatort angekommen, ausgerechnet vor der Leiche des Mannes, den er selbst auf dem Gewissen hat. Es geschah zwar aus Notwehr, aber peinlicherweise unter Kokaineinfluss. Die Idee, den Toten einfach in einer Baugrube verschwinden zu lassen, war keine gute, wie sich herausstellt. Auch sonst zeichnet sich Gideon Rath eher durch zu viel Ehrgeiz denn durch Cleverness aus. Nach Dienstschluss durchstreift er ohne Wissen seiner Vorgesetzten den "wilden Osten" der Reichshauptstadt, um einen Mord aufzuklären, an dem seine Kollegen gescheitert sind. Im Polizeipräsidium am Alexanderplatz, der "Roten Burg", hält man den "Neuen aus der Provinz" aufgrund seiner Beziehungen zum Polizeipräsidenten für einen Arschkriecher. Ein Grund mehr für Rath, es allen zeigen zu wollen. Doch wäre nicht der Zufall auf Raths Seite, sein erster Fall bliebe ungelöst.

Rath ist die Hauptfigur in Volker Kutschers Krimi "Der nasse Fisch", der im April und Mai des Jahres 1929 spielt. Noch sind die goldenen Zwanziger also nicht zu Ende, der Schampus fließt in Strömen, und "dieser" Hitler, dessen Bild bei einem der Verdächtigen an der Wand hängt, ist für Rath vorerst nur "ein komischer Kauz mit Charlie-Chaplin-Bart, der genauso humorlos dreinblickte wie Wilhelm zwo".

Auch für seine neuen Kollegen sind die Braunhemden kaum ein Thema. Umso mehr die Kommunisten, man erwartet einen Umsturzversuch. Als die Berliner Polizei am berühmt-berüchtigten "Blutmai" gegen demonstrierende Arbeiter vorgeht und über 30 Menschen sterben, gerät Rath versehentlich selbst in die Schusslinie. Eigentlich ist er der Sitte zugeteilt. Eher fasziniert als angewidert von der vibrierenden Atmosphäre des Berliner Nachtlebens, muss er Razzien in Nachtklubs durchführen und die Studios der florierenden Pornoindustrie ausheben.

Interessanter als die Jagd nach standhaften Bismarck- und Kaiser-Doubles ist für Rath eine Leiche, die aus dem Landwehrkanal gefischt wird, Hände und Füße zu Brei zerschlagen. Rath ermittelt auf eigene Faust. Und kommt einer mysteriösen Verschwörung auf die Spur, bei der emigrierte russische Adlige, kommunistische Sektierer, kriminelle Ringvereine, der "Stahlhelm", Waffenschiebereien und eine tonnenschwere Ladung Gold eine Rolle spielen.

Keine Frage, die Weimarer Republik bietet den perfekten Hintergrund, um im boomenden Subgenre des Historienkrimis neue Akzente zu setzen. Und der Kölner Autor versteht sein Handwerk. "Der nasse Fisch" besticht durch genaue Recherche und meist treffsichere Dialoge, und die knapp 500 Seiten sind trotz gelegentlicher Längen spannend zu lesen, mag auch der Ausgang etwas zu sehr an James Ellroys "L. A. Confidential" erinnern. Dennoch wundert man sich, dass Kutschers Krimi bei Kiepenheuer & Witsch gleich als Spitzentitel geführt wird. Ob man dem Autor damit wirklich einen Gefallen getan hat? Bei so viel Vorschusslorbeeren erwartet man doch Aufregenderes als "nur" einen soliden Krimi.

Anders als sein Held vermeidet Kutscher Risiken. Man merkt, das Zeitgeschichtliche soll hier mehr als bloße Fassade sein, aber letztlich bleibt es bei der guten Absicht. Gerade der Hauptfigur hätten ein paar politisch unkorrekte, aber historisch übliche Ecken und Kanten gutgetan.

Während sein neuer Vorgesetzter mit dem Spitznamen "Parabellum-Wolter" als Kriegsveteran der Dolchstoßlegende anhängt, ist Rath etwas zu sehr als Sympathieträger konstruiert: Er ist unpolitisch, hört am liebsten die Jazzplatten, die ihm sein in die USA ausgewanderter Bruder schickt, und ist heilfroh, den Krieg nur noch in der Ausbildungskaserne erlebt zu haben. Da ist es geradezu erfrischend, dass Rath Ressentiments zumindest gegen Kommunisten hegt: "Kommunisten, das waren für ihn Auswüchse des Lumpenproletariats, das es in allen größeren Städten gab. Wer in diesem Milieu aufwuchs, hatte kaum eine Chance; er wurde entweder Verbrecher oder Kommunist. Oder beides."

Vom grassierenden Antisemitismus ist fast nichts zu lesen, überhaupt kommen jüdische Figuren kaum vor. Warum spielt der damalige Polizeipräsident Zörgiebel eine wichtige Rolle, nicht aber der berühmte "Vipoprä" Bernhard Weiß, von dem man nur nebenbei erfährt, dass er mit einer Diffamierungskampagne zu kämpfen hat? Auch die Nazis treten auffallend lange nicht in Erscheinung - um sich zum Schluss dann doch Aber das Ende muss man nicht verraten.

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