Zwangsumsiedlungen wegen Garzweiler: Geänderte Geschäftsgrundlage

RWE will weitere Orte abbaggern. Anwohner*innen fordern nun, dass nach dem beschlossenen Kohleausstieg keine Orte mehr geräumt werden dürfen.

Straße in Beverath

Beverath ist eins der Dörfer, die nach RWE-Plänen für den Tagebau abgerissen werden sollen Foto: reuters

DÜSSELDORF taz | Keyenberg, Kuckum, Berverath, Ober- und Unterwestrich: Nach Plänen von RWE sollen diese Orte im Laufe des kommenden Jahrzehnts für den Braunkohleabbau abgerissen werden. Anwohner*innen der Dörfer im Rheinischen Revier wehren sich seit Längerem gegen das Vorhaben: Am Montag haben sie den Energiekon­zern nun öffentlich aufgefordert, auf eine Erweiterung seines Braunkohletagebaus Garzweiler II zu verzichten und die Umsiedlungen nicht weiter fortzuführen. Andernfalls, so fordern Anwohner*innen, solle RWE klagen: Dann müsse ein Gericht prüfen, ob die Voraussetzungen für Enteignungen nach Bergrecht noch erfüllt sind.

„RWE soll die Dörfer in Ruhe lassen, bis geklärt ist, ob das überhaupt verfassungsgemäß ist“, sagt Marita Dresen aus Kuckum. Sie engagiert sich bei der Solidargemeinschaft Menschenrecht vor Bergrecht: Dieser Zusammenschluss von Anwohner*innen aus den Dörfern fordert von der NRW-Landesregierung, der zuständigen Bezirksregierung Arnsberg und RWE eine Klarstellung, „dass in Zeiten des beschlossenen Kohleausstiegs und der Klimakrise keine Dörfer mehr für den ­Kohleabbau zerstört werden dürfen“.

Sollte die Landesregierung keine Leitentscheidung treffen und auch RWE auf einer Erweiterung des Tagebaus bestehen, fordern die Anwohner*innen den Konzern auf, zeitnah ein Enteignungsverfahren anzustreben: An einem vorgelagerten Randgrundstück vor Keyenberg, das insgesamt 12 Personen aus den Dörfern gehöre, ließe sich die rechtliche Situation beispielhaft klären. „Enteignet werden darf nur für überwiegende Gemeinwohlinteressen, und wir sind der Überzeugung: Die sind nicht gegeben“, sagt Anwalt Dirk Teßmer, der die Solidargemeinschaft vertritt.

Dirk Teßmer, Anwalt

„Das eigene Wohnhaus und den Heimatort aufgeben zu müssen, ist ein gravierender Eingriff in die Grundrechte der Menschen“

Bagger von RWE stünden bereits rund 400 Meter vor Keyenberg: „Leider ist es aber so, dass der Rechtsschutz erst greift, wenn der Bagger vor der Tür steht“, sagt Teßmer. Momentan haben die Anwohner*innen keinen Genehmigungsbescheid, gegen den sie klagen könnten. „Wir hoffen, dass RWE einlenkt. Wenn nicht, sollen sie bitte Enteignung beantragen“, sagt Teßmer. RWE hat zwar gegenüber der taz eine Stellungnahme angekündigt, aber bis Redaktionsschluss nicht abgegeben.

In der Vergangenheit hatte RWE mehrfach betont, die Umsiedlungen der Dörfer trotz Kohlekompromiss fortführen zu wollen – vor allem, um den sozialen Frieden zu sichern. Anwohner*innen entgegnen, es seien die Umsiedlungen selbst, die den sozialen Frieden zerstören. „Es gibt Menschen, die verkauft haben und wieder zurückziehen wollen würden, wenn die Dörfer bleiben“, sagt Dresen aus Kuckum. „Und es kommen immer wieder Menschen, die sagen, sie würden gern herziehen.“

Mehr Tempo: RWE fordert mehr Tempo bei den gesetzlichen Regelungen für den Kohleausstieg. „Mich befremdet es auch etwas, dass es länger braucht, es umzusetzen, als es zu erfinden“, sagte Vorstandschef Rolf Martin Schmitz.

Mehr Grün: Für die Zukunft sieht Schmitz nur grün: „2040 wird RWE zu 100 Prozent klimaneutral sein.“ Nach einem Tauschgeschäft mit Eon ist RWE nun mit 17 Prozent an dem Konkurrenten beteiligt und hat beider Ökostromgeschäfte bei sich zusammengeführt. Jährlich will der Konzern 1,5 Milliarden Euro in den Bereich investieren.

Sollte es zu einem Enteignungsverfahren kommen, könnte dies ein Präzedenzfall für Tagebaugebiete werden. Mit der Besonderheit, dass am Tagebau Garzweiler aktuell bewohnte Orte in Anspruch genommen werden sollen. „Das eigene Wohnhaus und den Heimatort aufgeben zu müssen, ist ein gravierender Eingriff in die Grundrechte der Menschen“, sagt Teßmer.

In Zeiten der Klimakrise und des Kohleausstiegs halte er Enteignungen von Privathaushalten für verfassungswidrig. „Hier geht es auch um Zahlen: Wie viel Kohle dürfen wir überhaupt noch verstromen, im Sinne des Klimaschutzes?“ Die Anwohner*innen jedenfalls seien sicher, ein eventuelles Enteignungsverfahren für sich entscheiden zu können. „Wir haben Angst, dass wir doch noch wegmüssen“, sagt Dresen. „Aber eigentlich sind wir guter Dinge, die Dörfer erhalten zu können.“

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