Zwangsräumungen: Kein Showdown in Reinickendorf

Wieder sollte eine Zwangsräumung verhindert werden – allerdings wurde sie vorerst abgesagt. 200 Demonstranten waren gekommen.

Alte Parole, neue Mobilisierungsthemen. Bild: dpa

Es gibt kaum Straßen in Berlin, die zugiger wirken als die Aroser Allee bei Nieselwetter. Trotzdem haben sich hier in Reinickendorf schon um 8 Uhr morgens rund 200 Menschen versammelt. Sie packen Thermoskannen, Trommeln und Transparente aus, plaudern mit den Polizisten – an die 100 sind erschienen – und wirken recht entspannt dabei. Sie sind erneut dem Aufruf des Bündnisses „Zwangsräumung verhindern“ gefolgt, das friedlichen Protest angekündigt hat. Um 9 Uhr soll die Wohnung der 67-jährigen schwerbehinderten Rosemarie F. geräumt werden.

Laut „Zwangsräumung verhindern“ wohnt F. zur Miete in einer Eigentumswohnung, die Miete wird direkt vom Sozialamt überwiesen. Durch Eigentümerwechsel und Klinikaufenthalte F.s sei es zu Mietrückstand gekommen, was zur Kündigung und nun zum Räumungstitel geführt habe. Ein Arzt attestierte F., „der Stress einer Wohnungsräumung“ sei „nicht zumutbar“.

Vor der Kundgebung berichteten Medien, der Fall sei im Unterschied zu anderen, für die das Bündnis kämpfte, „nicht eindeutig“. Rosemarie F. sei nicht nur Opfer, sie habe Nachbarn tyrannisiert, den Kontakt zum Sozialamt abgebrochen. Die Kritiker – darunter auch ältere Menschen und Frauen mit Kopftüchern – haben sich davon an diesem Morgen nicht schrecken lassen.

Klaus Lederer, Landeschef der Linkspartei, ist da, er beharrt auf der Richtigkeit der Proteste. Man könne das Problem nicht lösen, indem man die Frau „mitten im Winter auf die Straße setzt“. Sozialstadtrat Andreas Höhne (SPD), der zuvor eine Übernahme der Mietschulden versprochen hatte, ist gekommen, und Ali Gülbol, dessen Wohnung in Kreuzberg vor Kurzem trotz heftiger Proteste geräumt wurde, ist auch da.

Gülbol ist wie üblich in Arbeitskleidung erschienen. Noch immer, erzählt er, lebt er mit Frau und drei Kindern bei seinen Eltern – zu siebt in vier Zimmern. Er bezweifelt, je wieder eine bezahlbare Wohnung in seinem Kiez zu finden. Aber es gehe nicht nur um ihn und auch nicht um Rosemarie F., die eine schwierige Nachbarin sein mag. „Es geht um Profitgier und Verdrängung“, sagt er. Gülbol ist zum Symbol des neuen zivilen Ungehorsams gegen die explodierenden Mieten und geschätzten 3.000 Zwangsräumungen jährlich in dieser Stadt geworden.

So ist es nicht verwunderlich, dass sich Sara Walter vom Bündnis zuerst bei ihm bedankt, als sie kurz nach 9 Uhr per Megafon die gute Nachricht überbringt: Die geplante Zwangsräumung finde nicht statt, das Landesgericht wolle noch einmal prüfen.

Die Demonstranten jubeln. „Der Kampf hat gerade erst begonnen“, ruft einer, von „Teilsieg“ ist die Rede. Sie beschließen, gemeinsam zurück zur U-Bahn zu gehen. Wie ein schlechtes Theaterstück wirkt es dann, als es auf dem Weg zum Franz-Neumann-Platz doch noch Reibereien gibt – wenig später meldet die Polizei, sie habe Ermittlungsverfahren gegen drei Männer eingeleitet, und ein Journalist habe gegen einen Beamten Anzeige erstattet.

Als die Letzten gegen elf Uhr in der U-Bahn verschwinden, kehrt schnell alles zur Normalität zurück. In einer Sportsbar sitzt eine Krankenpflegerin in ihren Fünfzigern und trinkt Cola-Cognac. Sie hat das Geschehen verfolgt, ist im Bilde. Sie findet es gut, dass sich die Leute gegen steigende Mieten wehren. Sogar in Rosemarie F. kann sie sich hineinversetzen, sie arbeitet in betreuten Wohngemeinschaften. „Unglaublich“, schüttelt sie den Kopf. „So wenig Demonstranten. So viele Bullen.“

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