Zwangsräumung in Bremen: Spontaner Protest unerwünscht
Einem Mann droht Strafe, weil er eine Spontandemo gegen eine Zwangsräumung angemeldet hat. „Kriminalisierung von Protest" nennen das Juristen.
Rund 60 Menschen versammelten sich spontan, um gegen die Räumung zu protestieren, darunter auch Otto Schulte.
Nun wird Schulte von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, „nach entsprechender Vorankündigung in sozialen Medien als Verantwortlicher die Zusammenkunft von mindestens 60 Personen organisiert und koordiniert zu haben“. Die Demo soll laut Strafbefehl den Zweck gehabt haben, „die Zwangsräumung zu verhindern“.
Laut Bundesversammlungsgesetz müssen geplante Versammlungen mindestens 48 Stunden vor Bekanntgabe angemeldet werden. Dies gilt allerdings nicht für spontane Versammlungen, die auch vor Ort noch angemeldet werden können.
Demo war längst unterwegs
Für Schulte ist klar: „Der Vorwurf ist konstruiert. Es war eine spontane Ankündigung.“ Der erste Aufruf zur Kundgebung in den sozialen Medien sei erst veröffentlicht worden, als der erste Streifenwagen bereits in der Straße eingetroffen war.
Zu dem Zeitpunkt seien die Demonstrierenden schon seit gut 45 Minuten vor Ort gewesen. Der Einsatzleiter der Polizei habe dann einen Ansprechpartner unter den Protestierenden gesucht, sagt Schulte. Er habe sich „auf Bitte des Einsatzleiters“ zur Verfügung gestellt, die spontane Kundgebung anzumelden.
Für Schulte ist der Strafbefehl ein Versuch, „die Arbeit des Bündnisses zu kriminalisieren“. Das Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“ setzt sich nach eigenen Angaben dafür ein, Wohnraum zu erhalten und gemeinsam mit Vermieter*innen und Mieter*innen Lösungen für Konflikte zu finden. Es hatte bei Twitter spontan dazu aufgerufen, die Kundgebung zu unterstützen.
Gegen den Strafbefehl hat Schulte Einspruch erhoben. Sein Anwalt Jan Lam hält das Verfahren für „absurd“. Es könne nicht sein, dass die Polizei jemanden darum bittet, als Versammlungsleiter zu agieren „und dann springt jemand in die Bresche und sorgt für einen geordneten Ablauf und wird dafür belangt“.
Grundrecht der Versammlungsfreiheit
Das sei auch nicht im Sinne der Polizist*innen vor Ort, denn gerade bei spontanen Versammlungen sei es wichtig, dass es Versammlungsleiter*innen gibt, die für einen geordneten Ablauf sorgen. „So etwas habe ich in dieser Art noch nie erlebt“ sagt Lam. Es gehe bei dem Verfahren auch nicht um die Umsetzung von Recht: „Dahinter steckt die Kriminalisierung einer politisch unerwünschten Bewegung“, sagt der Anwalt.
Der Bremer Jurist Tore Vetter weist auf die verfassungsrechtlichen Probleme des Falls hin. Die Anmeldungspflicht des Bundesversammlungsgesetzes verstoße eigentlich gegen den Wortlaut des Artikels 8 des Grundgesetzes, wonach die Versammlungsfreiheit „ohne Anmeldung oder Erlaubnis“ besteht.
Die Frage, ob die Anmeldungspflicht überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar ist, sei daher unter Verfassungsjurist*innen umstritten. Laut Bundesverfassungsgericht, so erklärt es Vetter, ist die Anmeldepflicht als Einschränkung bei Versammlungen „unter freiem Himmel“ dennoch grundsätzlich verfassungsgemäß, weil sie auch deren Durchführung zugute komme, etwa wenn zum Beispiel Straßen gesperrt werden müssten.
Spontane Versammlungen verfassungsrechtlich gedeckt
Das Bundesverfassungsgericht habe sein Einverständnis für die Anmeldungspflicht aber nur gegeben, wenn es weiterhin auch die Möglichkeit gibt, wie in dem Bremer Fall, sogenannte Spontanversammlungen abzuhalten, bei denen die Anmeldungsfrist nicht eingehalten werden könne, sagt Vetter.
Dass in Schultes Fall Strafbefehl ergangen ist, sieht Vetter kritisch. Es passe zu der Stimmung, die der Jurist etwa im Diskurs um die „Letzte Generation“ wahrnimmt: „Die grundsätzliche Wertung der Versammlungsfreiheit als fundamentales demokratisches Grundrecht scheint in Vergessenheit geraten.“
„Wir werden uns von diesem Strafverfahren nicht einschüchtern lassen“, sagt Bahne Michels vom „Bündnis gegen Zwangsräumungen“. Wie „aggressiv“ der Staat auf dessen Anliegen reagiere, zeige aber auch, „wie nah wir am Kern des Problems sind“.
* Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung