Zustände in Massen-Notunterkunft Tegel: „Ein Instrument der Abschreckung“
Bei einem Fachgespräch sind sich Betroffene und Experten einig, dass die Zustände in der Massenunterkunft Tegel unhaltbar sind. Oder gar gewollt?
Die unhaltbaren Lebensumstände dort sind seit Langem bekannt, einige Beiträge brachten sie aber nochmal eindrucksvoll auf den Punkt. Anna Mogilatenko zum Beispiel präsentierte ein Video, das herumlaufende Mäuse zwischen Kinderbetten zeigte. „Das ist auf der Quarantänestation!“, betonte sie, also dem Bereich für chronisch Kranke. Weiter zeigte sie Fotos von schmutzigen Toiletten und schimmeligem Brot. Mogilatenkos Verein Sunflower Care kümmert sich in ganz Deutschland um Geflüchtete mit Behinderungen. Sie sagt: „Tegel gehört zu den schlimmsten Einrichtungen im ganzen Land.“
Emily Barnickel vom Flüchtlingsrat nahm den Faden auf. Wegen Schimmelbrot habe ihr Verein schon vor eineinhalb Jahren eine Anzeige beim Gesundheitsamt gestellt. Das Amt habe daraufhin eine Kontrolle in Tegel gemacht, aber diese vorher angemeldet. „Wenig überraschend haben sie nichts gefunden.“
„Nie können sie helfen“
Auch einige Bewohner berichteten: „Das Personal behandelt uns wie Tiere“, sagte ein Mann – dabei brauche man als Flüchtling eigentlich freundliche Zusprache. Er verstehe auch nicht, wie man an diesem Ort Kinder leben lassen könnte: „Dort werden Drogen verkauft“ – und die Mitarbeiter würden nichts dagegen tun. Ein anderer, der sich als Alexander vorstellte, ergänzte, viele Mitarbeiter in Tegel seien „inkompetent“. „Nie wissen sie etwas, nie können sie helfen“ – egal, ob man frage, wann die Toilette repariert werde oder wann man einen Berater sprechen könne. Auch die Gesundheitsversorgung sei mangelhaft: Über sechs Monate müsse man auf die Krankenkassenkarte warten und könne so lange nicht zum Arzt gehen. Zwar gebe es in Tegel auch einen Arzt, aber der behandele Geflüchtete nur in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts. Vielsagend waren auch die zwei Transparente, die die Geflüchteten im Saal des Abgeordnetenhauses vor der Besprechung an Tische hängten. „Würden Sie wollen, dass dort ihr Kind lebt?“, stand auf dem einen, auf dem anderen: „Wir wollen in der Schule lernen und die Kita besuchen. Wir haben das Recht auf Bildung und Entwicklung. Kinder von Tegel“.
Alexandra Bienert von der Allianz Ukrainischer Organisationen, die zuletzt Mitte April in Tegel war und ebenfalls von den unhaltbaren hygienischen und räumlichen Zuständen berichtete, fasste ihre Beobachtungen so zusammen: „Dort gibt es ganz klare Menschenrechtsverletzungen.“ Allerdings passten die Bilder von Betroffenen und Fachleuten offenbar nicht mit denen von Politik und Verwaltung zusammen. Bienert berichtete von den Antworten des Gesundheitsamts auf eine Anfrage, in der es um die verschmutzten und oft kaputten Sanitäranlagen in Tegel ging. Das Amt habe erwidert, „es gibt einen Hygieneplan, eventuelle Mängel werden schnell abgestellt“. Der Tenor: alles in Ordnung.
Dass Politik und Verwaltung häufig abwiegeln, wenn es um die Probleme in Tegel geht, könnte daran liegen, dass die schlechten Zustände gewollt sind. „Tegel ist ein Instrument der Abschreckung“, lautet jedenfalls Barnickels These. „Die Politik will Flüchtlinge nur noch am Rande“ – von Städten, von Grenzen, von der EU. „Exterritoriale Gebiete“ seien Tegel und Tempelhof, „aus den Augen, aus dem Sinn“, findet auch Afred Brömme, der Koordinator des Senats für Flüchtlingsangelegenheiten, der für die Flüchtlinge von Tegel neue Heime in den Bezirken bauen soll.
Am fehlenden Geld scheitere eine bessere Unterkunft jedenfalls nicht, betont Jian Omar von den Grünen. 260 Euro koste ein Tag in Tegel pro Person: „Dafür könnten sie auch im Luxusloft am Potsdamer Platz wohnen.“
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