Zusammenarbeit in der Kunst: Kurzlebige Nord-Süd-Achse
1906 wurde Emil Nolde Mitglied der Künstlergruppe „Brücke“. Für wen sich was lohnte, zeigt nun die Kieler Kunsthalle.
Schmidt-Rottluff wirbt damit, dass man in einer Gruppe Ausstellungen viel besser organisieren könne als im Alleingang. Und man strebe einen eigenen Ausstellungsraum an! Die noch kleine Gruppe von gleichgesinnten Künstlern findet Nolde toll, und sie finden, dass er bei ihnen mitmachen sollte, da sie es in dieser Welt zu etwas bringen wollen.
„Mit dem Glauben an Entwicklung, an eine neue Generation der Schaffenden wie der Geniessenden rufen wir alle Jugend zusammen. Und als Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohlangesessenen, älteren Kräften“, so hatten sie es einige Monate zuvor keck in ihrem Gründungsprogramm formuliert.
Selbstbewusst hatten die vier Architekturstudenten Fritz Bleyl, Ernst Heckel, Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff danach ein Wohnatelier bezogen und es mit ihrem Studium nicht mehr ganz so ernst genommen – mit der Kunst aber umso mehr. Diese Ernsthaftigkeit bei zugleich vorhandenem Mut mit bildnerischen Konventionen zu brechen, sehen sie auch bei Nolde am Werk.
Noldes farbwuchtige Bilder sind ihnen in der Galerie Arnold in Dresden aufgefallen, und was sie da gesehen haben, hat sie begeistert. Nolde zögert zwei, drei Tage zu antworten – und stimmt dann zu. Auch weil seine Frau Ada, die ihm als eine Art künstlerische Beraterin zu Seite steht, zu diesem Schritt rät. „Zukunftsfroh“ wird er seine neue Kunstfreunde bald nennen, die deutlich jünger sind: mal 13, mal 16, mal 17 Jahre. Eine andere Generation eigentlich. Aber warum soll es nicht klappen?
Nur wenige persönliche Treffen
Nolde kann zudem eine künstlerische Jungkur gut gebrauchen, auch finanziell gesehen: Er kann zwar über 30 Ausstellungsbeteiligungen vorweisen, doch im Vergleich dazu hat er bisher wenig verkauft. „Ich merke es immer mehr, die Alten tadeln mich und nörgeln, die Jungen jubeln mir entgegen“, wird er bald schwärmen. Und: „Und ich, Gott sei Dank, fühle mich in meiner Kunst so herrlich kräftig und jung und stehe tausendmal lieber kämpfend unter der Zahl der Jungen als zwischen den sesshaften, verrosteten Alten.“
Nach 20 Monaten ist die Verbindung schon wieder zu Ende. Und so, wie es nur sehr begrenzt zu engeren Begegnungen gekommen ist, erklärt Nolde im November 1907 ohne großes Getöse und ohne großen Streit seinen Austritt. Allzu oft persönlich getroffen hat man sich nicht – bis auf den vermutlich nicht unwichtigen Besuch Schmidt-Rottluffs auf der dänischen Insel Alsen, wo die Noldes eine Zeitlang lebten.
Vom Mai 1906 an schläft Schmidt-Rottluff auf deren Sofa, sucht sich dann eine eigene Unterkunft und bleibt bis Ende September. Der Besuch verwandelt sich also in ein fortlaufendes Arbeitstreffen, auch wenn das die Ausnahme bleiben wird.
Die beiden Männer malen, was sie zu malen haben, tauschen sich auch aus, zeigen sich ihre Skizzen und Studien. Und manchmal wird Schmidt-Rottluff auch auf Ada geschaut haben und sie auf ihn, jedenfalls entwickelt sich ein reger Briefwechsel zwischen den beiden, der in seiner Intensität und jugendlichen Aufgeregtheit Nolde nur begrenzt gefallen haben dürfte. Später wird sich das auf andere und durchaus ernstere Weise mit Ada Nolde und Ernst Heckel wiederholen.
Was in diesen nicht ganz zwei Jahren jeweils passierte, wie die verschiedenen Akteure davon profitierten und auch nicht, zeigt nun die Kieler Ausstellung, die unpompös den Titel „Nolde und die Brücke“ trägt. Über 140 Werke wurden dafür zusammengetragen: von den verlässlich immer wieder beeindruckenden Landschafts- und Selbstporträts bis hin zu kleinen, fast fragilen Radierungen und Drucken: „Segler“ – „Segelboot auf dem Wasser“ – „Schlepper auf der Elbe“. Nun also geht es langsam bei Emil Nolde in die Randbereiche. Und zugleich wird eben auch deutlich, dass der Maler aus Seebüll eine prägende Gestalt war.
Kunst des Holzschnitts und der Radierungen
Die Kieler Ausstellung geht dabei, was naheliegt, chronologisch vor. Sie zeigt den jeweiligen Stand, bevor man zusammenkam; sie zeigt, wo sich Verbindungslinien aufbauen, aber auch dauerhafte Unterschiede bleiben. Sie wagt nicht zuletzt einen Ausblick, nachdem man wieder auseinander gekommen ist, und auch in der nun Nolde-losen Brücke sich Brüche und Differenzen nicht mehr überbrücken lassen.
Natürlich gibt es von all den Querverweisen und Vergleichsmöglichkeiten gänzlich unbenommen Nolde satt und die Brücke-Maler satt, und wer gegenüber unserer gegenwärtigen bildenden Kunst mit ihrem hohen Anteil aus zuweilen schwer zu dechiffrierenden Installationen und den dazu gehörigen theoretischen Ableitungen nun mal fremdelt, der wird im Haus am Düsternbrooker Weg schlicht vergnügliche Stunden haben, was ja auch etwas wert ist. Nolde geht immer, und die Brücke geht immer, kann man guten Gewissens ausrufen und muss sich dafür überhaupt nicht schämen.
Für Fans des einen und der anderen gibt es aber noch etwas Neues zu entdecken: Es lässt sich sehr schön nachvollziehen, wie die Brücke-Künstler dem Nolde die Kunst des Holzschnitts und der Radierung nahe brachten – der sich seinerseits damit revanchierte, dass er mit den neuerworbenen Techniken sehr frei umging und sehr freie Ergebnisse schuf, was die Brücke-Männer gern aufgriffen.
Spannend ist auch der Blick in ein Kabinett, gut gefüllt mit Faksimiles von Archivarien, die einen soliden Blick in die organisatorische Welt der Brücke plus Nolde erlauben. Denn die nun angereicherte Gruppe, die von Anfang an die Position eines Geschäftsführers installiert und so die geschäftliche Dimension von Kunst im Blick hatte, machte sich sogleich auf die Suche nach neuen Vermarktungsstrategien, jenseits der klassischen Verkaufssituation im Atelier oder im Rahmen einer Ausstellung.
Ein Logo wird entwickelt, Mitgliederkarten werden kreiert. Und nicht zuletzt kommt man auf eine Idee, die besonders Ada Nolde als eben auch Emils PR-Frau einleuchtet und die sie bald tatkräftig umsetzt: Neben den Künstlern als den eigentlichen Mitgliedern der Gruppe wird sich eine Fördergruppe aus Nichtkünstlern bilden, die erstere unterstützt.
Weniger Erfolg als gedacht
Angesprochen werden sollen dafür natürlich Menschen mit Einfluss, mit Verbindungen und Vernetzungspotenzial: Kunsthändler, Galeristen, Sammler, schlicht Menschen mit Kenntnis und mit Geld. Sie als passive Mitglieder der Brücke werden bald systematisch mit Ausstellungsterminen versorgt, erhalten mit dem jährlichen Geschäftsbericht auch eine Mappe mit Drucken, die Jahresmappe.
Doch der erhoffte Erfolg stellt sich nicht ein: Mit viel Enthusiasmus angeschobenen Gruppen- wie Einzelausstellungen können doch nicht realisiert werden. Und Nolde, der so darauf gesetzt hat, dass sich zusammen geschäftlich mehr reißen lässt denn allein, wendet sich immer mehr von dem dazugehörigen Gemeinschaftsstil und auch -gebaren der Gruppe ab.
„Es ist so viel in der ‚Brücke‘ was ich anders haben möchte, u. diese Gedanken beschäftigen mich viel zu sehr. Ich muss mich sehr concentrieren um arbeiten zu können u. jede Ablenkung ist meiner Kunst zum Nachteil“, formuliert er schließlich in seinem Austrittsschreiben.
Man wird sich in den kommenden Jahren, bis die Brücke sich im Mai 1913 per se auflöst, aus der Ferne beobachten und dabei durchaus schätzen. Heckel, Kirchner und auch Schmidt-Rottluff werden auch immer mal wieder in Schleswig-Holstein und im angrenzenden Dänemark unterwegs sein, auch um dort zu arbeiten. Mit Emil Nolde werden sie sich nicht treffen.
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