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Zurücklehnen oder MitmischenWut auf passive Mitmenschen

Theresa Hannig fühlt sich von Status-Quo-Verteidigern umzingelt. Sie fordert dazu auf, sich einzumischen.

Aufgewacht, denn die Zukunft wird von denen gestaltet, die nicht wegsehen, sondern handeln Foto: Shotshop/imago

S chon wieder bin ich wütend, und es wächst sich langsam zu einem Dauerzustand aus. Ich bin wütend, wenn im Familienchat Propaganda gegen Muslime geteilt wird und außer mir niemand dagegen protestiert; ich bin wütend, wenn der Nachbar sagt, jetzt reiche es aber mit den Flüchtlingen; ich bin wütend, wenn Männer Frauen wegen ihres Körpers shamen und alle außer mir lachen; und wenn ich den entsprechenden Personen dann in Erinnerung rufe, dass der 1. Artikel unseres Grundgesetzes für alle Menschen gilt, wird mir empfohlen, weniger radikal zu sein.

Was ist da los? Bin ich so weit nach links gerutscht, dass die deutschen Otto und Emma Nor­mal­ver­brau­che­r*in­nen mir schon rechts erscheinen? Bin ich so sehr in der Theorie verhaftet, dass ich die Realität verkenne? Ich glaube nicht! Ich bemühe mich, offen durch die Welt zu gehen. Ich versuche, Vorurteile zu vermeiden und alle Menschen mit Respekt zu behandeln. Ich bin überzeugt, dass die meisten von uns eigentlich nur ein ruhiges Leben führen wollen mit einem okayen Job, Familie, Freunden, Freizeit und nicht zu viel Verantwortung oder Stress.

Weltpolitik oder globale Verantwortung schreiben sich die wenigsten auf die Fahnen. In gewisser Weise verstehe ich das Bedürfnis, im Privaten zu bleiben und sich nicht um die Probleme da draußen zu kümmern. Aber in einer Zeit, in der sich eine Pandemie innerhalb von einem Monat auf den ganzen Globus ausbreitet, ist es naiv zu glauben, das eigene Leben, Arbeiten, Konsumieren und Kommunizieren sei völlig unabhängig vom Rest der Welt.

Sie verschanzen sich hinter mentalen Gartenzäunen

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Klimakrise, KI, Krieg, Pandemie, Flüchtlingsbewegungen, Artensterben, Trans- und Frauenrechte sind Themen, die uns alle etwas angehen, die alle interessieren müssten und zu denen je­de*r etwas beitragen könnte. Aber nein, die meisten schauen weg, interessieren sich nicht, bleiben bei sich. Oder sie positionieren sich aus Angst dort, wo keine Disruption zu erwarten ist: Im Status quo. „Wenn alles so bliebe, wie es gestern war, wäre zumindest ICH noch genauso sicher und zufrieden wie gestern.“ Aber darauf zu beharren, dass alles so bleibt wie es war, ist eine Position, die man sich auch erst mal leisten muss – und es bedeutet stillschweigend zu akzeptieren, dass es denjenigen, die immer noch für ihre Rechte kämpfen müssen, nach wie vor schlechter geht als einem selbst.

Und während sich die Ängstlichen hinter ihren mentalen Gartenzäunen verschanzen, peinlich darauf bedacht, jedes zarte Pflänzchen Veränderung, das von der anderen Seite herüberwächst, rigoros abzuschneiden, werden die Gesetze, die Entscheidungen, die Kriege, die Urteile, die Morde von den Leuten begangen und gefällt, die genau wissen, dass sie von der Mehrheit hinter den Zäunen nichts zu befürchten haben.

Und das macht mich wütend! Denn aus Angst vor Veränderungen stillzustehen führt nicht dazu, dass die Welt bleibt, wie sie ist, sondern dass andere entscheiden, wie sie sich verändert. Politisch betrachtet entspricht das einem ewigen Hinterherlaufen und Reagieren auf die Ereignisse, anstatt die Zukunft proaktiv zu gestalten. Schon vor 2.500 Jahren sagte Heraklit: „Nichts ist so beständig wie der Wandel.“

Wer diesen Wandel gestalten und nicht nur erleiden will, hat in einer Demokratie das Privileg, sich zu beteiligen: Schreibt euren Abgeordneten, diskutiert, übernehmt ein politisches Amt, geht wählen, demonstrieren und streiken. So wird aus unserer Wut eine bessere Zukunft für uns alle.

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10 Kommentare

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  • Danke. Nur wahr

  • Die Kolumne halte ich für gerechtfertigt. Mir geht es ähnlich. Und wieso soll Aktiv sein und eine Meinung zu vertreten schlecht sein? Mich machen Menschen fassungslos, die bewusst ihr Verhalten nicht hinterfragen und jegliche Diskussion unterbinden. Warum? Andere Sorgen? Ja, die habe ich auch, und doch halte ich Augen und Ohren offen und würde gerne die anderen Ansichten hören. Nur nicht dieses "weiter so" und den Kopf in den Sand stecken! Auch nicht mit dem Argument, mensch habe andere Sorgen. Das können wir uns als Gesellschaft einfach nicht mehr leisten!

  • "Klimakrise, KI, Krieg, Pandemie, Flüchtlingsbewegungen, Artensterben, Trans- und Frauenrechte sind Themen, die uns alle etwas angehen, die alle interessieren müssten"



    "Bin ich so sehr in der Theorie verhaftet, dass ich die Realität verkenne? Ich glaube nicht!"

    Ja und genau da liegt doch das Dilemma. Dass sich alle um dich herum für nichts interessieren, glauben die bestimmt auch nicht.

    Meinungen haben/aktiv zu sein und bei jeder Gelegenheit kundzutun sind zwei verschiedene paar Schuhe. Es gibt Momente, da muss man klar Haltung beweisen und da gibts auch keine Ausreden. Und ganz ohne Engagement durchs Leben gehen ist schon traurig, kann manchmal auch wütend machen.



    Aber Menschen haben auch verschiedenste persönliche Ansichten, Fragen und Alltagsprobleme, die sie auch (und vielleicht mehr) beschäftigen, als gesamtgesellschaftliche oder gar globalpolitische Themen. Und manch einer hat mehr Meinung als man glaubt, geht aber nicht überall damit hausieren.



    Ich hab auch schon genügend aktivistische Menschen in meinem Leben getroffen, die so sehr Aktivist sind, dass sie den Aktivismus zum Lebensinhalt gemacht haben, jedes Gesprächsthema zu einem politischen machen und dabei den Blick für die Lebensrealitäten ihrer Mitmenschen komplett verloren haben, sich permanent in Klagen und Vorwürfen ergehen. Das kann auch wütend machen.

    Beruf, Kinder, Pflege, Schulden, Krankheit, Zukunft, Tod, Beziehungen, Probleme im Freundeskreis sind halt genauso real, aber einem wesentlich näher als "Weltpolitik und globale Verantwortung".

    Und das ist auch absolut in Ordnung.

    • @Deep South:

      Wollte eigentlich einen eigenen Kommentar schreiben - hätte aber so ziemlich das gleiche dringestanden...



      Kurz : sehe ich genauso!

  • Wut schadet immer einem Menschen ganz besonders:

    Dir selbst!

  • "Bin ich so weit nach links gerutscht, dass die deutschen Otto und Emma Nor­mal­ver­brau­che­r*in­nen mir schon rechts erscheinen?"



    Wenn man ganz weit links steht, erscheint einem die Mitte schon rechts.



    Umgekehrt ist das genau so, viele weit rechts Stehende halten die Mitte für links, nur weil sie nicht rechts mitspielen will.

    Im Übrigen halte ich die Bezeichnung "die deutschen Otto und Emma Nor­mal­ver­brau­che­r*in­nen" für einen diskriminierenden Ausdruck. Ersetzen sie mal "deutschen Otto und Emma" durch "islamischen Ali und Farah", ein Aufschrei ginge durch die linke Presse.

  • Nur ein ganz klein wenig widersprüchlich:



    "Ich bin wütend, wenn...."..... jemand zu einem Thema eine andere Meinung vertritt.



    aber



    "Aber nein, die meisten schauen weg, interessieren sich nicht.... macht mich wütend"

    Vielleicht haben manche eben eine andere Meinung.



    Oder nehmen ihr Recht wahr, sich nicht überall zu zu äußern.

    • @fly:

      gut analysiert!

    • @fly:

      Die meisten Normalos interessieren sich nicht für Minderheitenrechte sondern vor allem für freien Konsum für freihe, biodeutsche Bürger. Vater, Mutter Kind, Haus, Autos, Amazon. Alles andere stört nur und sollte verboten werden. Tatsächlich wähnt man sich aber als Opfer der Ökodiktatur wenn der Sprit für den 2-Tonnen-SUV über 2€ kostet.

      • @schnarchnase:

        "Die meisten Normalos interessieren sich nicht für Minderheitenrechte"



        Diese Aussage halte ich für diskriminierend, da sie einfach nicht stimmt, oder haben sie einen Nachweis für diese pauschale Aussage zu "Normalos", was immer das auch sein soll.