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Zum Tode verurteilter Boston-Attentäter„Es tut mir leid um die Leben“

Lange hatten Prozessteilnehmer auf ein Wort von ihm gewartet, doch der Boston-Attentäter schwieg. Am Tag des Urteils hat er sich entschuldigt.

Gemischte Gefühle: drei Überlebende nach der Urteilsverkündung. Foto: ap

WASHINGTON taz | Der überlebende Bombenleger von Boston hat zwei Jahre und einen Monat lang geschwiegen. Am Mittwoch, dem Tag der förmlichen Verkündung seines Todesurteils, stand Dzhokar Tsarnaev erstmals auf und erhob seine Stimme. Er bekannte sich der Bombenanschläge schuldig: „Zusammen mit meinem Bruder“. Er bat die Opfer und ihre Angehörigen um Entschuldigung für das Leid, das er ihnen zugefügt hat. Und er bat Allah um „Barmherzigkeit“ für sich, seinen Bruder und seine Familie.

„Es tut mir Leid um die Leben, die ich genommen habe, um das Leiden, das ich verursacht habe und um den nicht mehr gutzumachenden Schaden, den ich angerichtet habe“, sagte Tsarnaev mit einem russischen Akzent, den ehemalige Kommilitonen nicht von ihm kannten. Dabei blickte der 21-Jährige, den Zuschauer während seines Prozesses als kalt und gefühllos erlebt hatten, zu Boden und zitterte am ganzen Körper.

Mehrere Überlebende – die erklärten, dass sie das Wort „Opfer“ für sich nicht mögen – äußerten sich anschließend vor dem Gericht zu der unerwarteten Erklärung. Lynn Julian zeigte sich „schockiert“ von den vielen „Allahs“ und der Suche nach „Milde“. Und Scott Weisberg fand es „schwer zu glauben“, dass Tsarnaev reumütig ist, nachdem davon im Prozess nichts zu merken war. Ein anderer Überlebender, Henry Borgard, war froh, dass Tsarnaev sprach. Er hoffe, dass er es ernst meint. Und: „Ich vergebe ihm“.

Andere Prozessteilnehmer wiesen darauf hin, dass Tsarnaev es versäumt habe, den Terrorismus zu verurteilen. Und sie bemängelten, dass er keines seiner Opfer namentlich erwähnte.

Richter George O‘Toole, der am Mittwoch offiziell das Todesurteil gegen Tsarnaev verkündete, zitierte dabei Shakespeare. „Du wirst für das Böse, das Du getan hast, erinnert werden. Das Gute wird mit Deinen Knochen begraben werden.“

Überlebende plädierten gegen die Todesstrafe

Wie an jedem Tag des Prozesses standen auch am Mittwoch GegnerInnen der Todesstrafe vor dem Gericht in Boston. „Warum töten wir Menschen, die Menschen töten?“ stand auf einem ihrer Transparente. „Stoppt das Töten“ auf einem anderen. Der liberale Bundesstaat Massachusetts hat die Todesstrafe bereits 1984 abgeschafft.

Um Tsarnaev, den überlebenden der beiden Bombenleger, dennoch zum Tode verurteilen zu können, hatte das US-Justizministerium das Verfahren vor einem Bundesgericht in Boston abgehalten. Dort sprachen sich selbst Angehörige von Toten, darunter die Eltern des 8-jährigen Martin Richard, gegen die Todesstrafe aus. Auch mehrere Überlebende, die bei dem Attentat Beine verloren haben, plädierten gegen die Todesstrafe.

Dzhokar Tsarnaev und sein älterer Bruder Tamerlan haben am 15. April 2013 in der Zielgeraden des Boston-Marathon zwei hausgemachte Bomben im dicht gedrängten Publikum gezündet. Drei Menschen kamen ums Leben. Mehr als 250 wurden verletzt. Darunter waren 17 Menschen, denen Körperteile amputiert werden mussten. Bei der mehrtägigen Verfolgungsjagd kamen ein Polizist sowie der ältere Tsarnaev-Bruder ums Leben.

Die ursprünglich aus Tschetschenien stammende Tsarnaev-Familie hatte 2002 den Kaukasus verlassen und war in die USA ausgewandert. Dort wurden die beiden Söhne zu Dschihadisten. Nach ihrem Attentat auf den Boston-Marathon hinterließ der jüngere Tsarnaev eine schriftliche Erklärung, in der er die Tat als Rache für den Umgang mit Muslimen beschrieb.

Dzhokar Tsarnaevs nächste Station ist ein Todestrakt – voraussichtlich in dem Hochsicherheitsgefängnis Terre Haute in Indiana.

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2 Kommentare

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  • Die Frage nach dem Warum stellen wir uns viel zu selten, finde ich. Vor allem dann, wenn wir mit der Antwort etwas über uns selbst erfahren könnten, was uns nicht gefallen darf, weil es den Regeln widerspricht, die irgendwer mal aufgestellt hat und ohne die es angeblich nicht geht.

     

    "Warum töten wir Menschen, die Menschen töten?" Mir fällt nur eine einzige plausible Antwort ein auf diese Frage: "Wir" (nicht alle, sondern nur einige von uns) tun das für jenen einen, viel zu kurzen Augenblick der Genugtuung, in dem aus einem kalt und gefühllos wirkenden Mörder ein kaum volljähriges Opfer wird, ein Mensch, der plötzlich seinen mühsam unterdrückten Akzent nicht mehr kontrollieren kann, der am ganzen Körper zittert und dessen Blick uns sagt, dass er am liebsten in den Boden sinken würde.

     

    Dieser kurze Augenblick ist die eigentliche Legitimation für unseren Hass und unsere Aggressionen. Nicht die Opferrolle ist es, die Macht legitimiert. Es ist die Rolle des Täters, der allerdings nicht als selbsternannter Rächer der Enterbten über Tot und Leben entscheiden darf, sondern im vermeintlichen Erziehungsauftrag einer ganzen Gesellschaft tut, was nun einmal getan werden muss um des lieben Friedens willen.

     

    "Wir" spielen Gott, wenn wir ein Todesurteil fordern, aussprechen oder vollstrecken. Den Gott des alten Testaments. Allerdings ohne IHM, "dem Herrn", sein Alleinstellungsmerkmal streitig zu machen. Gott braucht keine Legitimation. Er IST die Legitimation für seine "Follower". Sogar, wenn es um so was sinnloses wie das Gefühl Hass geht oder das Prinzip Rache. "Wir" (Macht-)Gläubigen sind Menschen unter Menschen – und ganz allein nicht überlebensfähig. Wir brauchen das Gefühl der Legitimation, sonst fühlen wir uns all zu unsicher, wenn wir was sehr, sehr Dummes tun. Deswegen töten wir und lassen töten. Weil wir die Mörder brauchen. Damit wir unsere mühsam gebändigten Aggressionen hin und wieder guten Gewissens von der Leine lassen können.

  • So einfach ist das also, mit dem sich ent-schuldigen.

     

    Man kann nur um ent-schuldigung bitten.