Zum Tod von José „Pepe“ Mujica: Bodenständig, menschlich, schließlich weise
Bauer, Blumenzüchter, Guerillero, Geisel der Diktatur, Präsident von Uruguay: Pepe Mujica war eine Ikone der Linken. Jetzt ist er mit 89 gestorben.
Orsi war Mujicas Wunschkandidat bei der Präsidentschaftswahl Ende vergangenen Jahres. Für ihn war er noch einmal als Wahlkämpfer auf die politische Bühne gestiegen. „Mir ist klar, dass ich zu einer Generation gehöre, die geht und Abschied nimmt. Der Kampf geht weiter und muss weitergehen“, sagte er vor einigen Monaten.
José Alberto Mujica Cordano wurde am 20. Mai 1935 in Montevideo geboren. Seine Wurzeln reichen bis ins Baskenland des Vaters Demetrio Mujica und bis in das Piemont seiner italienischen Mutter Lucy Cordano. Er war acht Jahre alt und seine Schwester zwei Jahre, als der Vater starb. Japanische Nachbarn, Blumenzüchter, unterstützten die alleinerziehende Mutter von da an. Von ihr übernahm er später den Blumenzuchtbetrieb.
Sein politischer Werdegang begann 1956 in der konservativen Partido Nacional, von der er jedoch sechs Jahre später zu einer von der Sozialistischen Partei gegründeten Volksunion wechselte. Im Jahr 1964 schloss er dem bewaffneten Kampf der linken, von der kubanischen Revolution beeinflussten Stadtguerilla Movimiento de Liberación Nacional-Tupamaros (MLN-T) an. Er beteiligte sich an Überfällen, Entführungen und Bankrauben, wurde verhaftet, verbüßte seine Strafe und nahm den Kampf wieder auf. Zweimal gelang ihm zusammen mit anderen die Flucht.
Progressive Errungenschaften
Ab 1972 saß er für 13 Jahre im Gefängnis. Ein Jahr später putschten sich die Militärs an die Macht und hielten ihn und andere in Geiselhaft. Sie sollten getötet werden, wenn die MLN-T ihre Aktionen fortsetzte. Folter und Erniedrigung gehörten dazu. „Ich verbrachte sechs Monate mit Draht gefesselt und mit den Händen auf dem Rücken; ich durfte zwei Jahre lang nicht baden und musste mich mit einen Becher Wasser und einem Taschentuch waschen“, erinnerte er bei seiner Abschiedsrede im Kongress an diese Zeit.
Als 1985 Uruguay zur Demokratie zurückkehrte, hatte er insgesamt 15 Jahre im Gefängnis verbracht, viele davon in Einzelhaft. Seine Freilassung erfolgte auf der Grundlage eines Gesetzes, das politischen Gefangenen und ehemaligen Guerilleros Amnestie gewährt, auch für bewaffnete Aktionen. Im Jahr 1989 war er Mitbegründer des gemäßigt linken Movimiento de Participación Popular (MPP), für das er 1995 als Abgeordneter und 1999 als Senator in den Kongress gewählt wurde.
Im Jahr 2009 setzte er sich als Präsidentschaftskandidat des linken Bündnisses Frente Amplio durch und gewann schließlich die Präsidentschaftswahlen im selben Jahr. Während seiner Amtszeit wurden der Anbau, Verkauf und Konsum von Cannabis legalisiert, die gleichgeschlechtliche Ehe zugelassen und ein für die Region fortschrittliches Abtreibungsgesetz verabschiedet. Zugleich avancierte Uruguay zum Vorreiter in Sachen Energiewende.
Wirtschaftlich profitierten das Land und die Regierung von den hohen Weltmarktpreisen für Agrarprodukte, die den finanziellen Handlungsspielraum für eine sozialliberale Politik bildeten. Revolutionäre Experimente gab es keine. Stattdessen wurde der Standort als südamerikanische Schweiz für Banken und Investitionsfonds achtsam gepflegt.
Der „ärmste Präsident der Welt“
Pepe Mujica präsentierte sich stets als bodenständig, seinem jahrzehntealten hellblauen VW-Käfer zog er einem Dienstwagen vor, er spendete 90 Prozent seines Präsidentengehalts. Noch während er Präsident war, tauchte er – Fünftagebart, struppiges Haar – bei einer Ortsversammlung der MPP mit einer Klobrille im Arm auf. Sein Nachbar habe ihn gebeten, sie ihm mitzubringen. Es gibt viele solcher Geschichten über „El Pepe“, wie der Guerillero, Politiker und Blumenzüchter von vielen Menschen mit Respekt und Zuneigung zugleich genannt wurde.
Die internationale Presse erklärte ihn zum „ärmsten Präsidenten der Welt“, worauf er stets entgegnete, arm sei nicht der, der wenig habe, sondern der, der viel brauche und sein Leben dafür verschwende, es sich kaufen zu können. Auch während seiner Amtszeit als Präsident lebte er auf seiner kleinen Farm in der Nähe der Hauptstadt. Manche Kritiker warfen ihm vor, mit dem Image zu kokettieren, aber die meisten nahmen ihm seinen Lebensstil als authentisch ab. „In meinem Garten züchte ich schon seit Jahrzehnten keinen Hass. Hass macht uns letztlich dumm, weil er uns die Objektivität angesichts der Dinge verlieren lässt. Hass ist blind wie Liebe, aber Liebe ist kreativ, und Hass zerstört uns“, hatte er einmal erklärt. Es war auch diese Verbindung von Politik und glaubhaft vorgetragenen Lebensweisheiten, die Pepe Mujica stets eine große Zuhörerschaft auch unter jungen Leuten verschaffte.
„Ich gehöre zu einer Generation, die die Welt verändern wollte. Ich wurde niedergeschlagen, besiegt, pulverisiert, aber ich träume weiter davon, dass es sich lohnt, dafür zu kämpfen, dass die Menschen ein wenig besser und gleichberechtigter leben können“, sagte Mujica rückblickend.
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