Zum Tod von Beach Boy Brian Wilson: Tragödien, Surfer und Teenagesinfonien
Mit den Beach Boys schuf Brian Wilson unbeschwerte Welthits voll kalifornischer Sonne. Als Mensch hatte es der begnadete Komponist nicht so leicht.

Diese Tragik trug das Ihre zum Mythos Brian Wilson bei und warf immer wieder die Frage auf, ob ihr seine Musik die emotionale Tiefe verdankt, ob also bei einem glücklicheren Leben seine Kunst belanglos geblieben wäre. Die Antwort auf diese Frage kann nur lauten: „God Only Knows“.
Worin bestand die Tragik? Brian, geboren am 20. Juni 1942, wuchs in Kalifornien auf als ältester Sohn eines sadistischen Psychopathen, der Zeit seines Lebens Gefallen darin fand, Brian zu demütigen und zu quälen – auch noch, als der schon längst zum erfolgreichen Popstar geworden war. Die Prügel, mit denen er von klein auf an Brian und dessen jüngere Brüder Dennis und Carl züchtigte, waren hart und regelmäßig und bedurften mitunter nicht mal eines Anlasses.
Auf der anderen Seite waren Brian und sein Vater Murry eng miteinander verbunden – durch Musik. Murry wäre selbst gerne Musiker geworden und übertrug seinen künstlerischen Ehrgeiz schließlich auf Brian, der schon früh eine außergewöhnliche musikalische Begabung gezeigt hatte. Mit Musik gelang es Brian immer wieder, seinen Vater zu besänftigen. Und auch wenn der ihn meistens am Ende mehr kritisierte als lobte, merkte Brian doch, dass sein Talent seinen Vater stolz machte.
Erleuchtung am Küchentisch
Als Teenager entdeckte Brian in den 1950ern die Musik der Four Freshmen, einem US-Jazz-Vokalquartett aus der Stan-Kenton-Schule, das es mit engen Jazz-Harmonien bis in die Pop-Charts schaffte. Auch Murry mochte ihre Musik, und als Brian im Alter von 15 nach einem Konzert der Four Freshmen der Familie zu Hause am Küchentisch spontan und aus dem Kopf beibrachte, einen Song der Freshmen vierstimmig zu singen, erlebte er einen der harmonischsten Familienmomente.
Auch bei Brians Brüdern Dennis und Carl zeigte sich bald eine überdurchschnittliche Musikalität und Brian probte weitere Vokalarrangements mit ihnen ein, gerne verstärkt durch Cousin Mike Love. An der musikalischen Ausrichtung der Beach Boys hatte Carl keinen kleinen Anteil, denn er machte Brian, der zu jener Zeit vorzugsweise Klassik und höchstens mal George Gershwin hörte, mit Rock ’n’ Roll und R&B bekannt. Das inspirierte ihn, selbst Songs zu komponieren, „und dabei entdeckte ich etwas, was ich nirgendwo sonst fand, die Sache, die ich mein ganzes Leben vermisst hatte: ein Gefühl von Freude und Glück“, wie er in seiner 1991 veröffentlichten Autobiografie „Wouldn’t It Be Nice“ schrieb.
Verstärkt durch Brians alten High-School-Kumpel Al Jardine machte die erweiterte Familie jetzt Ernst. Carl Wilson besorgte sich eine Gitarre, Dennis wurde zum Schlagzeuger bestimmt, Brian übernahm die Bassgitarre, alle fünf sangen. Dennis, der extrovertierte Draufgänger und Sportler, brachte Brian und Mike Love, der sich ums Textschreiben kümmerte, auf die Idee, mal einen Song übers Surfen zu schreiben, das in Kalifornien gerade dabei war, Trendsport zu werden. Die Anregung wurde aufgenommen, der Song „Surfin'“ wurde schließlich im Dezember 1961 von einem kleinen Label veröffentlicht. Er kletterte bis auf Platz 75 der Billboard-Charts und machte größere Labels auf sie aufmerksam. Vater Murry, der es sich nicht nehmen ließ, die Managerfunktion zu übernehmen, entschied sich für Capitol Records. Capitol wollte eigentlich seine Hausproduzenten auf die Beach Boys loslassen, Murry Wilson wollten den Job selbst übernehmen. Brian ebenfalls. Sein Glück war es, dass sich sein Vater so schnell so unbeliebt machte, dass das Label alles tat, um mit ihm so wenig wie möglich zu tun zu haben.
So kam es zu der in jener Zeit komplett unüblichen Situation, dass ein Künstler seine Songs nicht nur selbst komponierte und arrangierte, sondern auch noch produzierte. Und Brian nahm die Herausforderung an. Einerseits lieferte er Up-tempo-Hits wie „Surfin’ USA“, „Fun, Fun, Fun“ oder „Little Deuce Coupe“, andererseits experimentierte er mit zunehmend komplexen, melancholischen Balladen wie „In My Room“, „The Warmth Of The Sun“ oder „Keep An Eye On Summer“.
Mit der Produktion von bis zu drei Alben pro Jahr plus Tourneen kam Brian jedoch ans Limit und beschloss nach einem Nervenzusammenbruch, sich ganz auf die Studioarbeit zu konzentrieren. Solange er kontinuierlich Hits auswarf, ließen ihn Capitol und seine Bandkollegen machen. Bei dem 1966 veröffentlichten Album „Pet Sounds“ erschienen der Band die Playbacks, die er ihnen vorab vorbereitet hatte, jedoch so außergewöhnlich, dass sich interne Kritik regte. „Don’t fuck with the formula!“, soll Mike Love ihn gewarnt haben, zusätzlich beleidigt, weil Brian für seine neuen Songs einen externen Textdichter hinzugezogen hatte. Das Album verkaufte sich auch deutlich schlechter und Capitol verstand es nicht, die Musik zu promoten und veröffentlichte stattdessen eilig eine Greatest-Hits-Compilation.

Brians Antwort war der Song „Good Vibrations“. Ein aus den Ergebnissen von über 30 Studiosessions zusammengesetztes Patchwork; eine Mini-Sinfonie, die sämtliche üblichen Popsong-Strukturen sprengte. Unerwarteterweise wurde der Song ein Megahit, die bestverkaufte Beach-Boys-Single überhaupt. Davon motiviert, begann Brian die Arbeit an seinem ambitioniertesten Projekt, dem Konzeptalbum „Smile“, einer „Teenage Symphony to God“. Tatsächlich war es eher sein Charles-Ives-Moment, in dem er die US-Geschichte mit Anklängen an alte Folk Songs und Spirituals heraufbeschwört, den vier Elementen je einen Song widmet und mit Banjo, Mundharmonika, Marimbaphon und Orgel ein Klangbild zauberte, das denkbar weit weg war von den zu jener Zeit bestimmenden psychedelischen Rocksounds von Jimi Hendrix, Jefferson Airplane oder Janis Joplin.
Band und Plattenfirma intervenierten jedoch so massiv, dass Brian entnervt aufgab und das Album nicht fertigstellte. Er zog sich zurück ins zweite Glied, schrieb zwar immer wieder ein paar Songs, überließ die künstlerische Verantwortung aber zunehmend seinem Bruder Carl. Der kreative Flow war abgebrochen und kehrte auch nicht zurück. Zu Beginn der 1970er Jahre fiel Brian Wilson schließlich in eine tiefe Depression, verbrachte seine Tage größtenteils im Bett, stopfte sich voll mit Steaks und Burgern, bis er über 130 Kilo wog, und konsumierte Unmengen von Kokain und Marihuana.
Als es dem Psychiater Eugene Landy schließlich gelang, Brian aus der Depression herauszuholen, gesünder zu leben und wieder zu arbeiten, feierten Band, Plattenfirma und Fans: „Brian is back!“ Doch es war ein anderer, reduzierter Brian, der zurückgekommen war. Landy verschrieb ihm eine starre Lebensführung und zog, um sie zu überwachen, gleich mit ein paar Assistenten bei ihm ein. Natürlich beanspruchte er auch Co-Komponisten-Anteile an den von Brian nun wieder häufiger geschriebenen, jedoch deutlich schlichteren Songs.
Das Biopic „Love & Mercy“ von 2014 zeigt, wie die Autoverkäuferin Melinda Ledbetter Brian Wilson schließlich Ende der 1980er Jahre aus Landys Klauen befreite. Sie wurde 1995 seine zweite Frau. Was jedoch sowohl die Landy-Phase wie auch die späteren Jahre kennzeichnete, waren ständige juristische Auseinandersetzungen mit Plattenfirmen und vor allem mit Bandkollege Mike Love, der sich die Rechte an dem Namen Beach Boys gesichert hatte. Zwar gab es immer wieder auch Beach-Boys-Reunions und sogar neue Alben, am erfolgreichsten war Brian jedoch, wenn er unter seinem Namen mit Komplettperformances von „Pet Sounds“ oder „Smile“ auf Tour ging. Eine rekonstruierte „Smile“-Version erschien schließlich 2011.
In den letzten Jahren soll Brian zunehmend senil gewesen sein, obwohl immer noch neue Alben von ihm erschienen (zuletzt 2021 „At My Piano“). Nach dem Tod seiner Frau Melinda im Januar 2024 wurde er unter Vormundschaft gestellt.
Er starb am 11. Juni.
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