Zukunftsforscher Robert Jungk: Vergessenes Wissen
Vor 100 Jahren wurde Robert Jungk geboren. Seine Kritik des Atomstaates und des ungebremsten Wachstums bleiben wegweisend.
BERLIN taz | Wissenstransfer ist groß in Mode: Die Erkenntnisse aus den Hochschulen werden in die Unternehmen getragen, um dort für Innovationen zu sorgen, aus den Forschungslabors in die Kindergärten und auf die Marktplätze, von den Industriestaaten in die Entwicklungsländer. Überall fließt Wissen, tagtäglich und überall, zwischen Menschen und Kontinenten. Nur an einer Stelle stockt die Übertragung: bei der Weitergabe zwischen den Generationen.
Aktuelles Beispiel dafür ist der Wissenschaftsjournalist und Zukunftsdenker Robert Jungk, der im Mai vor 100 Jahren in Berlin geboren wurde. Obwohl seine Themen – Fortschrittskritik, menschengemäße Technik, Bürgerbeteiligung, Solargesellschaft statt Atomstaat – heute so aktuell sind wie vor 30 Jahren, werden in Deutschland so gut wie keine Gedenkveranstaltungen ausgerichtet.
Nur in Berlin hat der Zukunftsforscher Rolf Kreibich am Mittwoch nach Pfingsten zu einer Tagung mit „Zukunftsgespräch“ (siehe Kasten) geladen. Es wird ein Treffen der graumelierten Wegbegleiter.
Der Erkenntnisverlust in der Wissensgesellschaft ist keineswegs auf Koryphäen beschränkt. Schauplatz: Grimm-Bibliothek der Humboldt-Universität in Berlin, wo sich Anfang vergangener Woche junge Ökonomen der Vereinigung für Ökologische Wirtschaftsforschung (VÖW) treffen. Ihr Thema: die magere Bilanz der Wachstums-Enquete-Kommission des Bundestages und die Forschungsarbeiten für eine „Post-Wachstums-Ökonomie“.
Unter dem Titel „Zukunft gewinnen“ findet am 22. Mai von 10 bis 18 Uhr in Berlin eine gemeinsame Konferenz des Sekretariats für Zukunftsforschung, des IZT und der Heinrich-Böll-Stiftung statt.
Ziel der Tagung ist es, „im Sinne der Ideen und Aktivitäten von Robert Jungk weiterführend orientierendes Zukunftswissen auszutauschen und für nachhaltiges Zukunftshandeln zu motivieren“. (Ort: Vertretung des Landes NRW, Hiroshimastr. 12-16, 10785 Berlin)
Reinhard Loske, jetzt neuer Transformations-Professor an der Universität Witten/Herdecke, der als Bremer Umweltsenator die Anregung zur Wachstums-Enquete gegeben hatte, belehrt den wirtschaftswissenschaftlichen Nachwuchs: „Wir hatten schon in den 70er Jahren eine breite wachstumskritische Debatte.“
Ein Anstoß kam von den „Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome, aber auch grundlegend andere Sozialentwürfe wie die eines Erich Fromm prägten die Diskussion. Es war zugleich die Hoch-Zeit der Zukunfts-Szenarien von Robert Jungk.
Sendepause bei den Alternativen
Loske: „Dann war zweieinhalb Jahrzehnte lang Sendepause.“ Eine komplette Generation verabschiedete sich vom Zukunftsdenken über alternative Wirtschaftsweisen. Ein Grund für den Zukunfts-Blackout ist, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Bevorstehenden („Zukünften“) zumindest in Deutschland keine akademische Fundierung gefunden hat.
Robert Jungk, der nach seinen publizistischen Erfolgen der 50er Jahre („Die Zukunft hat schon begonnen“) zunehmend am Aufbau einer Zukunftsforschung mitwirkte, erhielt 1968 an der TU Berlin einen Lehrauftrag für dieses Fach und hielt bis 1974 Vorlesungen als Honorarprofessor.
Wegen seines interdisziplinären Herangehens quer durch alle Fachrichtungen wurde Jungk von den Ordinarien als „horizontaler Professor“ belächelt. Heute wäre die Berufung eines prominenten Vertreters der Zivilgesellschaft auf eine Hochschulprofessur undenkbar.
Zukunftsforschung an der Uni
Kreibich, der später mit Jungks Unterstützung das private Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) gründete, kritisiert die bis heute andauernde Zukunftsverweigerung der deutschen Hochschulen: „Während wir über tausend Lehrstühle für die Vergangenheit haben, gibt es nur an zwei Universitäten Professuren für die Zukunftsforschung.“ In Berlin (FU) und Aachen.
„Die Wegwerfgesellschaft hat keine Überlebenschance“, „In die falsche Richtung gewachsen“, „Das Auto ist für Mensch und Umwelt so gefährlich wie moderne Waffen“ – für die gegenwärtigen Protagonisten einer „Großen Transformation“ in Wirtschaft und Gesellschaft wären die Interviews und Texte von Robert Jungk aus den 70er Jahren eine Déjà-vu-Lektüre. Wenn sie denn gelesen würden. Aber jede Generation will ihre Zukunft lieber neu erfinden.
Der Soziologe Harald Welzer, derzeit Großexperte für ökonomische und gesellschaftliche Zukunftsfähigkeit, hat mit dem „Futurzwei-Zukunftsalmanach“ und seinen „Geschichten von gelebten Gegenentwürfen“ exakt die Aktualisierung von Jungks „Katalog der Hoffnung“ aus dem Jahr 1990 geliefert.
Citizen Science
Erwähnt wird der Vorgänger aber nicht. Zukunftsgänger in Deutschland meiden die Fußstapfen früherer Generationen. Zu antiquiert, zu vergangen. „Citizen Science“, die Beteiligung der Bürger an der Wissenschaft, ist das neue Modewort. Von Robert Jungk als „Zukunftswerkstätten“ 1981 längst realisiert.
Der einzig verbliebene Fackelträger des Jungk’schen Erbes ist Walter Spielmann, Direktor der Robert-Jungk-Zukunftsbibliothek in Salzburg. Hier, wo Jungk 1994 starb und auf dem Jüdischen Friedhof als Ehrenbürger der Stadt begraben liegt, besteht seit 1986 die von Kommune und Land Salzburg getragene Einrichtung.
Sie baut auf dem Bücherschatz und Archiv des Zukunftsforschers auf. 60 Veranstaltungen mit 40 Kooperationspartnern stehen im Gedenkjahr auf dem Programm der Bibliothek. Österreich gibt eine Briefmarke zu Robert Jungk heraus („Betroffene zu Beteiligten machen“); vorige Woche wurde der Berliner Politikprofessor Elmar Altvater mit dem Salzburger Zukunftspreis geehrt.
Es gibt ein Demokratiedefizit
Die Presseresonanz zum 100. Geburtstag am 11. Mai bewertet Spielmann mit 20 kürzeren und längeren Beiträgen als „durchaus respektabel“. Allerdings sei es zutreffend, „dass die Rezeption Robert Jungks in der wissenschaftlichen Literatur abgenommen hat“.
Dabei seien dessen Aussagen „heute dringlicher denn je“. Es gebe ein Demokratiedefizit und eine globale Mehrfachkrise, deren Elemente von Jungk nicht nur bereits angesprochen wurden, sondern für die er auch Lösungen entwickelte, sagt Spielmann.
Ganz frisches Beispiel dafür ist das im Nachlass entdeckte „Sonnenbuch“, in dem sich Jungk grundlegende Gedanken zum bevorstehenden Solarzeitalter macht.
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