piwik no script img

Zukunft der Bremerhavener TafelNeustart von unten

Die Bremerhavener Tafel stand vor dem Aus, doch ist nun gerettet. Künftig wird sie komplett von Ehrenamtlichen betrieben.

Es geht weiter: Das Aus der Bremerhavener Tafel konnte abgewendet werden Foto: Carmen Jaspersen/dpa

Die Bremerhavener Tafel soll ab Januar neu starten. Im August hatten die fünf großen Wohlfahrtsverbände noch angekündigt, sie nicht weiterführen zu können. Die Gründe dafür waren vielfältig: Es gebe kein Kühlhaus mehr; die Mittel für Arbeitsgelegenheitsjobs seien drastisch gekürzt worden, sodass zehn Hauptamtliche plötzlich wegfielen. Außerdem fanden die bisherigen Be­trei­be­r*in­nen den Hauptsitz der Tafel zu klein. Er könne die eigenen Standards nicht erfüllen.

Alles kein Grund, aufzugeben, findet Uwe Lampe, Vorsitzender des Landesverbands Niedersachsen/Bremen der Tafel. Er erinnert daran, dass es auch anders möglich ist. Schließlich werden über die Hälfte der Tafeln in Niedersachsen nur von Ehrenamtlichen betrieben, ganz ohne Trägerschaft.

Wenige Wochen hatte es gedauert, bis das erste Treffen stand, an dem sich Interessierte melden konnten. Eine davon war Christina Glaser. Die 43-Jährige ist selber Kundin bei der Tafel, seit sie vor sechs Jahren krankheitsbedingt arbeitsunfähig geworden ist. Laut Grundsicherung stehen ihr monatlich knapp 200 Euro für Lebensmittel zu. „Ohne die Tafel wäre eine ausgewogene Ernährung gar nicht machbar.“ Für sie war klar: „Ich als Kundin muss mich jetzt einbringen.“

Am kommenden Freitag werden die Wohlfahrtsverbände den Tafel-Betrieb einstellen. Lampe hofft, bereits in der ersten Januarhälfte mit einem neuen Verein von Ehrenamtlichen wieder den Betrieb aufnehmen zu können. Dafür braucht es allerdings erst eine Vereinsstruktur.

Vom drohenden Ende aus der Zeitung erfahren

Anfang Dezember haben Freiwillige dessen Gründung beschlossen. Rund 30 Bre­mer­ha­ver*­in­nen sitzen sich an einem Donnerstagabend im Seniorentreffpunkt Altbürgerhaus gegenüber, um den neuen Vorstand zu wählen. Mehrere Anwesende sagen, sie hätten erst aus der Zeitung vom drohenden Ende der Tafel erfahren. So auch Jana Petersen. Die 53-Jährige kommt aus der Region und arbeitet in der Logistik. Später wird sie zur Vorsitzenden gewählt.

Zuvor gibt es jedoch noch kurze Streitigkeiten bezüglich des Mitgliedsbeitrags: „Bei 50 Euro bin ich raus! Ich kann 30 Euro im Jahr zahlen und mehr nicht“, ruft eine Frau empört. „Wir sind hier immer noch in Bremerhaven!“

Die Runde einigt sich auf einen Mitgliedsbeitrag von 30 Euro. Trotzdem sind nicht alle glücklich mit der neuen Vereinsstruktur. „Im Vorstand sind nur Neue, die die Tafel gar nicht kennen. Unsere Perspektive fehlt da leider“, findet Martina Nienburg.

Die 64-Jährige ist selber seit mehreren Jahren Tafel-Kundin. Vor drei Jahren war dann eine Tafel-Mitarbeiterin krank und sie ist spontan eingesprungen. Seitdem arbeitet die ehemalige Box-Kampfrichterin in der Brotausgabe der Tafel: „Es ist mir zugefallen.“

Trotz der Kritik am neuen Vorstand: „Bremerhaven braucht eine Tafel“, sagt Nienburg. Tatsächlich sind 35,6 Prozent der Bre­mer­ha­ver*­in­nen armutsgefährdet und wären damit berechtigt, sich bei der Tafel mit Lebensmitteln und Hygieneprodukten einzudecken.

Vor ein paar Stunden hieß es noch: Bremerhaven braucht eine Tafel. Jetzt können wir schon sagen: Bremerhaven hat eine Tafel

Uwe Lampe, Vorsitzender des Landesverbands Niedersachsen/Bremen der Tafel

Uwe Lange hofft, dass die Dauerspender der bisherigen Tafel auch den neuen Verein finanziell unterstützen. Eine dauerhafte staatliche Unterstützung, wie es beispielsweise die Bremerhavener Linke fordert, wünsche er sich nicht: „Das ist nicht das Prinzip der Tafel.“ Die Stadt könne stattdessen bei der Suche nach einem neuen Gebäude helfen – die bisherigen Räume in der Surfeldstraße dürfe die Tafel nur noch ein halbes Jahr nutzen.

Und das Kühlhaus, die fehlenden Ehrenamtlichen, die kaputten Lieferwagen? „Das schafft man schon alles.“ Vielleicht könne der Betrieb nicht sofort täglich alle Standorte erreichen. Es liege schon ein großes Stück Arbeit vor ihnen: Die Kun­d*in­nen­da­ten müssen neu aufgenommen werden, es muss eine Website erstellt werden und vor allem braucht man neue Helfer*innen.

„Wir Ta­fel­a­ne­r*in­nen sind gut im Improvisieren“, betont Lampe. „Vor ein paar Stunden hieß es noch: Bremerhaven braucht eine Tafel. Jetzt können wir schon sagen: Bremerhaven hat eine Tafel.“

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare