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Zuhör-Kiosk in Hamburg„Ich wünsche mir noch mehr Mut“

Christoph Busch betreibt den Zuhör-Kiosk „Das Ohr“ in einer Hamburger U-Bahn-Station. Er sammelt Geschichten oder schweigt gemeinsam.

Kommt vor lauter Geschichten kaum zum Aufschreiben: Christoph Busch Foto: Miguel Ferraz
Interview von Leif Gütschow

taz: Herr Busch, Sie haben in den frühen 1990er-Jahren eine Serie für die taz geschrieben. Dafür haben Sie sich im Café zu fremden Menschen gesetzt und gefragt: „Warum sitzen Sie hier?“ Weshalb sitzen Sie denn hier?

Christoph Busch: Ich wohne hier in der Ecke und habe vor zwei Jahren gesehen, dass der Kiosk neu vermietet wird. Damals war ich zu spät. Im vergangenen September war es wieder soweit und der Kiosk noch zu haben. Ich hatte zuerst gedacht na ja, du setzt dich dann dahin und schreibst. Und vielleicht hörst du da auch mal was Neues. Stoff sammeln. Ich habe auch gedacht: Was willst du eigentlich da unten? Vielleicht kriegst du ja einen Koller. Dann habe ich einen Mietvertrag für sechs Monate unterschrieben und im Dezember renoviert. Als ich dann das erste Plakat mit dem Ohr aufgehängt habe, haben die Leute gesagt: „Das ist ja toll, Sie hören zu! Das macht ja heute keiner mehr!“ Im Januar habe ich angefangen und ein bisschen geschrieben. Dazu komme ich heute gar nicht mehr.

Weil die Nachfrage so groß ist?

Ja, das geht Schlag auf Schlag. Zwischendurch muss ich auch mal Luft holen. Zuerst habe ich noch keine Termine gemacht. Das habe ich dann ziemlich fix geändert. Manche, die spontan kommen, lasse ich aber rein. Da geht es mir wie dem Zahnarzt.

Ihr Zuhör-Kiosk stößt auf große Resonanz, sowohl bei Erzählwilligen als auch in den Medien. Wie erklären Sie sich dieses Interesse?

Ich suche noch nach einer Theorie. Ganz einfach zu sagen, dass das Internet schuld ist, ist Quatsch. Ich will jetzt auch keine halbgaren Sachen äußern. In vielen Medien sehe ich oft ein Menschenbild, das von Angst bestimmt ist. Angst verkauft Auflage. Es gibt die Glücksritter, die Promis und Lottogewinner, die sind glücklich, aber mit denen habe ich eh nichts zu tun. Vor einfachen Menschen ist oft Vorsicht geboten, die schubsen einen auf die Gleise oder bringen als Vater ihre Familie um. Wenn irgendwo was passiert, sagen die Nachbarn, dass derjenige doch so nett war und immer gegrüßt hat. So entsteht Angst voreinander. Wenn man miteinander redet, geht man eben auch das Risiko ein, dass man sich streitet und vielleicht keine Lösung findet. Im Netz ist das einfacher, weil anonymer. Man kann sich dort etwas erleichtern mit seiner Meinung. Das ist natürlich verführerisch, das kann ich total verstehen. Aber es ist keine rein menschliche Auseinandersetzung mehr.

Sie haben Jura studiert und wollten mal Diplomat werden. Brauchen Sie diplomatische Fähigkeiten für Ihren Zuhör-Kiosk?

Einfühlungsvermögen ist sicher nicht schlecht. Aber ein Diplomat ist ja eigentlich jemand, der gar keine Konflikte austrägt. Der ist weisungsgebunden, das ist ja eine ganz andere Ebene.

Christoph Busch

71, ist in Brilon im Sauerland geboren und in Münster aufgewachsen. Er lebt und arbeitet in Hamburg-Eimsbüttel, ist verheiratet und Vater von zwei Töchtern. Für das Drehbuch zum ARD-Vierteiler „Jahrestage“ und der Adaption des Romans „Der Puppengräber“ wurde er für den Deutschen Fernsehpreis nominiert. An der Universität Hamburg unterrichtete er das Fach Drehbuch, an der Universität Giesen Literaturverfilmung.

Hat sich die Hamburger Psychotherapeutenkammer schon bei Ihnen beschwert, dass Sie umsonst arbeiten?

Nein, noch nicht. Oft klopfen bei mir Leute an, die selber im Bereich der sozialen Kommunikation arbeiten, und loben mich. Sobald ich den Eindruck habe, dass hier jemand sitzt und denkt Therapie, dann sage ich sofort: Ist nicht. Ich lasse gar nicht erst den Anschein aufkommen, dass ich irgendwelche Qualifikationen in der Richtung habe.

Verweisen Sie in solchen Fällen an Dritte?

Viele Leute, die zu mir kommen, sind schon in der Therapie. Oder was heißt viele – die, die es nötig haben. Die genießen es, dass ich kein Therapeut bin, weil ich ganz normal reagiere. Ich kenne sie nicht und sie kennen mich nicht und ich rede, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Ich mache Witze, wenn ich merke, das passt jetzt gerade. Aber ich habe hier auch die Nummer der psychiatrischen Ambulanz im UKE.

Sie haben in etlichen Berufen gearbeitet: Filme gedreht, Hörspiele geschrieben, an Universitäten gelehrt und Antiquitäten verkauft. Aber Sie sind auch ganz klassisch Taxi gefahren. Wie habe Sie die Zeit erlebt?

Das war Anfang der 1970er-Jahre, vielleicht drei Jahre lang. Es kam schon bei mir das Gefühl auf, hoffentlich bleibe ich da nicht hängen. Zu der Zeit konntest du aber noch richtig Geld damit verdienen. Das Taxifahren wie auch der Antiquitätenladen dienten mir immer nur als finanzielles Standbein, um mit Herzblut andere Sachen zu machen. Ach was, Herzblut, blödes Wort – um engagiert andere Sachen zu machen, deshalb.

Als Taxifahrer wurde Ihnen einmal Ihr Wagen vor einem Bordell gestohlen. Wie kam es dazu?

Ich hatte einen Fahrgast in Münster, der hat sich als Kripobeamter ausgegeben. Wir sind kurz zum Polizeirevier, dort wurde er auch gegrüßt. Später stellte sich raus, dass sie ihn kannten, weil er ein paar Dinger gedreht hatte. Zwischendurch hat er irgendwo noch einen Schinken abgeholt. Dann sind wir zum Bordell nach Dortmund gefahren und da in die Bar gegangen. Dort sagte er, dass er seine Zigaretten in der Taxe liegenlassen hat. Ich gab ihm meinen Schlüssel und er kam nicht wieder rein. Ich hatte ihm alles geglaubt und ihm vertraut. Das war dann für mich doppelt peinlich. Die Polizei hat ihn aber sofort gekriegt. Er hat mir gezeigt, wie man schnell Vertrauen aufbaut.

Mit Erfolgviele wollen Ihren Zuhör-Kiosk über eine Crowd-Funding-Kampagne oder Ähnliches unterstützen.

Das Extremste war eine Frau, die mir direkt eine Kioskmonatsmiete von 300 Euro in einem Briefumschlag hereingereicht hat. Es sind oft aber auch kleinere Summen, die ich bekomme. Ich habe dafür inzwischen ein eigenes Konto eingerichtet. Die Miete für die sechs Monate habe ich schon zusammen. Crowd-Funding muss ja seriös sein und ich will kein Karma oder so einen Schwachsinn im Gegenzug anbieten. Aber ich kann ein Buch schreiben. Ich habe inzwischen auch einen Verlag dafür gefunden, der mir einen Vorschuss gegeben hat. Ich kann also gar kein Crowd-Funding mehr machen, denn das Buch ist finanziert.

Fehlen Ihnen noch Geschichten?

In meinen Kiosk muss man sich natürlich erst mal reintrauen. Ich glaube, viele haben schon vor dem Wort „Geschichte“ Respekt und denken, sie hätten doch keine eigene zu erzählen. Ich fürchte, viele denken, sie sind es nicht wert, dass man ihnen zuhört. Da wünsche ich mir noch etwas mehr Mut. Es gibt auch Leute, die reinkommen und erst einmal schweigen. Das ist okay.

Gemeinsam einsam?

Nein, einfach mit jemandem zusammen sein, ein Glas Wasser zusammen trinken. Ich will nicht die große Geschichte oder das große Unglück. Wenn mir jemand von seinem Alltag erzählt, ist das für mich ein Hammer und neu. Für mich ist vieles auch spannend, bei dem die Leute selbst denken: So what – ich mache das seit 40 Jahren.

Werden Sie das Buch hier im Kiosk schreiben?

Hier unten komme ich gar nicht mehr dazu. In Zukunft werde ich sehen, dass ich nicht mehr jeden Tag hier sitze, vielleicht nur noch zwei Tage die Woche. Damit ich das ganze Material mal in den Griff bekomme. Gestern Abend bin ich erst wieder nach zwölf Uhr ins Bett gekommen.

Noch einmal zur Theorie: Der französische Soziologe Marc Augé hat Transiträume wie Flughäfen und Bahnhöfe als „Nicht-Orte“ bezeichnet, weil dort kein tieferer sozialer und kultureller Austausch stattfände. Stattdessen gäbe es dort vor allem Einsamkeit und Ähnlichkeit. Was würden Sie ihm antworten?

Philosophen müssen natürlich Thesen aufstellen, aber die finde ich schon sehr steil. Den Begriff Einsamkeit mag ich überhaupt nicht mehr, der wird gerade inflationär genutzt. Der hat ja nichts mit Ursachen zu tun. Das ist für mich auch wieder Angstmacherei. Ich hatte in der U-Bahn allerdings auch erst Respekt, hier hält man sich ja eigentlich nicht lange auf. Und ich hatte so einen gewissen Bammel, wenn ich etwas mache, was eigentlich hier nicht hingehört. Ich dachte schon, damit provoziere ich bestimmt einige Leute.

Und haben Sie provoziert?

Null. Mich hat noch keiner angepöbelt. Ich dachte auch, ich müsste dauernd neue Plakate drucken, weil die ständig vollgeschmiert werden. Null. Die U-Bahn ist vielleicht kein gemütlicher Ort, aber Kommunikation findet jede Menge statt.

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