Zuflucht in der Kirche: Eine Matratze je Familie​

Seit zwei Wochen harren rund 40 Roma im Gemeindehaus des Michel aus. Die Kirche duldet sie – aber auch wirklich nur das​.

Reisekoffer vor Kirchenbank

Eine Gruppe von Roma harrt im Hamburger Michel aus. Foto: Christian Charisius/dpa

HAMBURG taz | Am Freitag wird Esmeralda 15 Jahre alt. Eine Party wird es nicht geben, aber ein bisschen feiern will sie schon. Und zwar in der Hamburger Hauptkirche, im Michel. Da wohnt sie seit fast zwei Wochen zusammen mit 42 anderen Roma. Sie alle haben sich in die prominenteste Hamburger Kirche geflüchtet, um einer bevorstehenden Abschiebung zu entgehen.

„Es ist eng, aber es ist okay“, sagt Esmeraldas Mutter. „Man kann schlafen.“ Dafür haben die Schutzsuchenden zwei Räume von der Gemeinde bekommen. Ehrenamtliche HelferInnen haben Decken und Luftmatratzen vorbei gebracht. Darauf schlafen sie zu viert, zu fünft, oder zu acht: Jeweils eine Familie auf einer Matratze. In einer Küchennische lagern Vorräte, die ihnen NachbarInnen und AnwohnerInnen bringen. Äpfel liegen da in einer Kiste, ein paar Brötchen, H-Milch, Instantkaffee. Kochen können sie nur auf einer Herdplatte, die ihnen die Kirche ausleiht, jeden Nachmittag für drei Stunden.

Vor fast zwei Wochen hatte die selbstorganisierte Roma-Gruppe „Romano Jekipe Ano Hamburg“ die St. Michaelis Kirche vorübergehend besetzt. Den Anlass hatte eine Massenabschiebung in der Nacht zuvor gegeben: Mindestens 14 Roma waren unangekündigt abgeholt und in Staaten des Westbalkans abgeschoben worden. „Romano Jekipe Ano Hamburg“ besetzte daraufhin die prominente Hamburger Kirche und forderte einen sofortigen Abschiebestopp auf den Balkan und Bleiberecht für ihre Familien. Für einige Stunden hing ein Transparent am Glockenturm. Die Aufschrift: „Alle bleiben.“

Mittlerweile haben sich die Kirche und die Roma geeinigt: Bis auf Weiteres können die Familien in den Gemeinderäumen bleiben. Was das genau heißt, können die Verantwortlichen am Michel nicht sagen. Hauptpastor Alexander Röder möchte sich nicht äußern. Er verweist lediglich darauf, dass die Kommunikation eine Ebene höher abläuft, über den Kirchenkreis Hamburg-Ost.

„Wir haben den Familien unsere Unterstützung zugesichert“, bestätigt deren Sprecher Remmer Koch. Die Anwälte der kirchlichen Organisation Fluchtpunkt prüfen die Fälle der Familien anhand der gültigen Asylgesetzgebung. Nur sieht die für Roma vom Balkan kein Asyl vor. Mazedonien, Serbien und das Kosovo, wo die acht Familien im Michel herkommen, gelten als sichere Herkunftsländer. Wer von dort flieht, bekommt in Deutschland kein Asyl.

„Ich gehe nicht zurück nach Serbien“, sagt einer aus der Gruppe, der mit zwei seiner vier Kinder auf einer Luftmatratze liegt. Seinen Namen behält er lieber für sich. „In Serbien haben sie meinen Bruder umgebracht. Wenn ich zurückgehe, habe ich ein großes Problem.“ Eine Frau sagt: „Ich will nur, dass meine Kinder in die Schule gehen. In Serbien können sie das nicht.“

Die Situation im Michel sei zwar nicht optimal, schon gar nicht für die Kinder, sagen sie. Die hygienischen Bedingungen sind prekär – alle teilen sich ein Badezimmer mit einer Toilette und einem Waschbecken. Dort müssen sich 43 Menschen waschen, Zähne putzen, Geschirr abwaschen. Zweimal täglich lässt die Kirche die Menschen in einem anderen Gemeindehaus duschen.

Ob der Michel keine größeren Räume hat, oder ob er sie den Roma nicht geben will – „solche Detailfragen“ kann der Sprecher des Kirchenkreises Hamburg Ost nicht beantworten. Wichtig sei jetzt erst einmal, dass man nach einer Lösung suche. „Oder zumindest nach dem Hauch einer Hoffnung“, so Koch.

Für die Roma ist es auch ein politischer Kampf. Das Gesetz, das ihre Länder zu sicheren Drittstaaten erklärt, verstößt gegen die Verfassung, meinen sie. Damit sind sie nicht allein – vor einer Woche hatte die Roma und Cinti Union angekündigt, gegen das Gesetz vor das Verfassungsgericht zu ziehen.

Das Bündnis „Recht auf Stadt – Never mind the Papers“ unterstützt die Roma im Michel bei ihrem Kampf ums Bleiberecht. Und beim alltäglichen Leben. AktivistInnen und AnwohnerInnen kommen täglich vorbei, und helfen, im gemeinsamen Plenum die nächsten Schritte zu planen.

Nur sehen kann man von ihrem politischen Kampf am Michel nichts. Keine Transparente, keine Pinnwände, keine Flyer dürfen die Roma aufhängen. Umso stolzer tragen sie ihre T-Shirts. Auch darauf steht: Alle bleiben.

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