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„Zu viele“ Flüchtlinge anerkanntDer Skandal-Skandal

Der „Skandal“ um die Bremer Bamf-Außenstelle ist ein Manöver für eine rigidere Flüchtlingspolitik. Von den Vorwürfen bleibt wenig übrig.

Zu schnell anerkannt? Syrische Flüchtlinge im Grenzdurchgangslager Friedland Foto: dpa

Bremen taz | Was ist ein Skandal – und was wird zu einem Skandal gemacht? Dass wir es im Bremer Ableger des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) mit einem solchen zu tun haben sollen, lesen wir seit Ende April täglich in der Zeitung. Die Leiterin der Außenstelle soll bei Asylanträgen manipuliert haben. Ermittlungen laufen. Tausende Akten in Bremen und anderen Außenstellen werden überprüft. Längst hat „der Bamf-Skandal“größere Kreise gezogen.

Immerhin ist das Gerücht, eine Vertreterin der Bundesrepublik hätte ungeprüft, zu Unrecht und massenhaft Flüchtlinge nach Deutschland eingeschleust, nicht neu: Rechtspopulisten hetzen damit seit Jahren – und meinen Angela Merkel. Dass es daneben nun eine Frau im linksverdächtigen Bremen gibt, gegen die die Staatsanwaltschaft tatsächlich wegen „Bestechlichkeit und bandenmäßiger Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung“ ermittelt, passt zum Ressentiment.

Der Innenausschuss des Bundestags tagt in Sondersitzungen. Ein Untersuchungsausschuss kommt wahrscheinlich. In der Debatte aber geht es längst um eine nachträgliche Umdeutung des Willkommens-Sommers 2015 und eine Attacke auf die letzten Reste des humanen Asylgedankens im Grundgesetz – oder dem, was die Ausländerpolitik seit 1993 davon übrig gelassen hat.

„Verdachtsfälle“ betreffen vor allem Jesiden

Doch worauf fußt die Aufregung? Die Bamf-Behördenleiterin Ulrike B. soll Verfahren aus anderen Außenstellen des Bundesamtes an sich gezogen haben, Schutzanliegen schneller durchgewunken, Identitätsüberprüfungen der Flüchtlinge unterlassen haben. Knapp 1.200 Fälle zwischen 2013 und 2016 hält die Staatsanwaltschaft für verdächtig. Meist sollen die Asylsuchenden über bestimmte Anwälte nach Bremen vermittelt worden sein. Es geht vornehmlich um Jesiden aus Syrien und dem Irak.

Kam es in Bremen zu Unregelmäßigkeiten? Wahrscheinlich schon. Aber: Reichen die für einen Skandal? Jesiden, die vor dem Genozid geflüchtet sind, haben einen Anspruch auf Schutz. Verfahren schnell und effektiv abzuarbeiten, waren erklärte Vorgaben der Zentrale in Nürnberg. Hunderttausende Asylanträge hatten sich seit 2015 angestaut. Die Behörde war danach bundesweit im Krisenmodus.

Hinweise darauf, dass Geld zur Bestechung an Ulrike B. geflossen wäre, gibt es bis heute keine. Es waren wohl eher persönliche Motive. B. gilt als eine, die Probleme der Schutzsuchenden nicht kalt ließen. Ihr Anwalt Erich Joester weist alle Vorwürfe zurück. Verfahren seien wegen Überlastung anderer Außenstellen und mit Wissen der Nürnberger Zentrale nach Bremen verlegt worden.

Intrige eines Kollegen?

Er startet den Gegenangriff: Es handele sich um eine In­trige durch einen Kollegen, gegen den Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe erhoben worden seien. Der Verteidiger meldet sich, als es in der Öffentlichkeit längst nur noch um die Konsequenzen geht – der Skandal selbst aber scheint festzustehen.

Was der Öffentlichkeit nicht für Aufruhr sorgte: Dass jedes Jahr Tausende abgelehnte Asylentscheidungen des Bamf von den Gerichten korrigiert werden müssen. Zuletzt klagten vor allem Syrer, die meist nur noch subsidiären Schutz erhielten – seit ihnen mit diesem Status seit Frühjahr 2016 der Familiennachzug verwehrt wird.

So auch in Bremen: Ende 2017 gab es noch rund 2.000 Flüchtlinge, die vor dem Verwaltungsgericht Bremen klagten. 40 Prozent davon aus Syrien. Bei Asylsuchenden aus Syrien und dem Irak war die Schutzquote (also der Anteil, wie vielen der Asylsuchenden aus einem Land Schutz zugesprochen wurde) von 2010 bis 2015 sogar etwas geringer als in manchem anderen Bundesland. Auch zu Ulrike B.s Zeit als Leiterin war das Bamf hier also kein Flüchtlings-Eldorado.

Darin aber, so heißt es nun unter anderem von den Flüchtlingsräten, liege doch der eigentliche Skandal: Dass bundesweit viele Tausend Flüchtlinge eben nicht durch Entscheidungen des Bamf zu ihrem Recht kommen, sondern erst, wenn sie sich einen guten Anwalt leisten und den mühsamen Weg über die Gerichte bestreiten. Und sie sagen, die aktuelle Diskussion diskreditiere die Schutzsuchenden und ihre Fluchtgründe insgesamt. Doch der Appell der Flüchtlings-AktivistInnen läuft weit gehend ins Leere.

Den ganzen Schwerpunkt der taz nord zum konstruierten Skandal beim Bremer Bamf lesen Sie in der taz am wochendende im Kiosk oder hier.

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17 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Unglaublich gut endlich einmal einen journalistischen Beitrag zu diesem Thema zu lesen der sich mehr für Fakten als für Gerüchte und Anschuldigungen interessiert. Leider muss man wohl konstatieren, dasss dieser angebliche "Skandal" seine giftige Wirkung auf den gesellschaftlichen Diskurs längst entfaltet hat.

  • Wenn Jesiden mit weniger intensiver Prüfung Asyl erhalten haben oder andere Arten der Aufenthaltsbewilligung, so v.a. wegen der öffentlich allgemein bekannten Situation nach dem Versuch des Völkermords an ihnen im Irak durch den "IS".

    Ich kenne Personen aus Rwanda, die nach dem dortigen Völkermord 1994 sehr bald nach ihrem Antrag Asyl bekamen.

    Das ist richtig.

    und eigentlich selbstverständlich.

  • Jesiden und Genozid? Bei den Armeniern viel diese Erkenntnis trotz gesicherter Faktenlage viel schwerer.

  • Den Narrativ hat die afd mit pegida, compakt und besorgten Bürgern gesetzt und alle springen übers Stöckchen

    • 9G
      96830 (Profil gelöscht)
      @siri nihil:

      Es ist furchtbar, wie auch immer mehr selbsterklärte Linke und linke Zeitungen auf dieses Narrativ aufspringen.

      Diesem guten Artikel gingen bei der taz zig andere zuvor, die alle diese Nazipropaganda unreflektiert nachgeplappert haben.

      So wird die Welt langsam mehr und mehr in den braunen Sumpf verwandelt. Genauso hat das vor hundert Jahren angefangen.

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Von diesem "Skandal" wird wenig bis nichts überbleiben. Nicht zu vergessen dabei das Wirken der unseligen Josefa Schmidt aus Niederbayern, die, von dort nach Bremen versetzt, verwirrt war von einer halbwegs humanitären Flüchtlingspolitik; und - offenbar auf einen schönen Posten zielend, ungefragt und unerbeten Nachforschungen über ihrer höchstpersönlichen Ansicht nach herrschende Missstände anstrengte, die in einen mehr als hundertseitigen Bericht über angebliche falsche Abläufe mündete.

    Von "Bayerin zu Bayer" wollte sie Horst Seehofer aufrütteln und brachte dadurch die internen Abläufe der eh desolaten Behörde BAMF durcheinander und handelte sich ihre Strafversetzung zurück nach Bayern ein. In der Folgezeit inszenierte sie sich als wackere Streiterin für Recht und Ordnung, der ein Maulkorb verpasst wurde.

    Welch ein Elend, solch Menschen mit Profilneurose.

    Wie man hört, konnte sie sich, trotz hochkarätiger anwaltlicher Vertretung gerichtlich nicht gegen die Versetzung durchsetzen.

    Fazit: Viel persönliche Eitelkeit, eine desorganisierte, völlig überforderte Behörde, viel menschliches Leid mit dem allerlei Schindluder getrieben wird, Wasser auf die Mühlen der Nazis und der braunlackierten Boulevardpresse zB. BILD, eine unter Druck gesetzte CSU, die sich im Landtagswahhlkampfmodus befindet, eine offenbar zu UNrecht geschassste Beamtin und die damit verbundene verzweifelte Suche nach Sündenböcken.

    Leidtragende werden die Schutzsuchenden sein.

  • "Es waren wohl eher persönliche Motive. B. gilt als eine, die Probleme der Schutzsuchenden nicht kalt ließen" Sorry, es geht doch nur um die Frage, ob Frau B. nach Recht und Gesetz im Rahmen ihres ihr eingeräumten Ermessenspielraums gehandelt hat oder nicht. Falls ja, wäre alles in Ordnung, falls nein, kämen dann eben disziplinarrechtliche oder sogar strafrechtliche Konsequenzen in Frage. Das wird sich sicher klären, und solange kann man doch alles gelassen betrachten. Übrigens: dass ihr Anwalt alle Vorwürfe zurückweist, ist nun nicht sehr überraschend.

  • Guter Artikel. Danke.

    • @Frau Kirschgrün:

      Was ist an dem Artikel denn gut? Eine wahrscheinlich kriminell handelnde Beamtin wird prophylaktisch in Schutz genommen.

      • @Sven :

        So weit ich weiß, ist das alles noch gar nicht wirklich überprüft.

        In dubio pro reo.

         

        Es heißt auch, dass alles im normalen Rahmen liegen könnte.

         

        Wer weiß, wer warum im Hintergrund jemanden Unliebsamen/eine Unliebsame "abschießen" will…

      • 9G
        96830 (Profil gelöscht)
        @Sven :

        Gegen Gesetze zu verstoßen ist nicht automatisch dasselbe wie kriminell zu sein. Es ist sogar ein von der Verfassung gesichertes Recht, sich über unmenschliche Gesetze hinwegzusetzen (Art. 20 Abs. 4 GG).

        Hier wurden Menschenleben gerettet, das als kriminell zu bezeichnen sagt Einiges über dich aus.

        Oskar Schindler war wohl auch total kriminell und wer den in Schutz nimmt ist ein böser, böser Gutmensch!

  • 9G
    98589 (Profil gelöscht)

    Immer wieder lese ich, dass Flüchtlinge sich einen Anwalt leisten müssen.

    Wird ihnen denn keine Prozesskostenhilfe zugestanden? Das ist doch auch ein recht, wenn wenig Einkommen vorhanden ist oder?

     

    Was den Skandal betrifft.:

    Ob man diesen Begriff verwenden will, ist jedem selbst überlassen. Fakt ist aber, dass nach den Gesetzen gehandelt werden muss, unbedingt. Wenn in der bongender Aussenstelle samstags Mitarbeiter ins Amt gehen und unbesehen Asylbescheide abstempeln als geprüft und gestattet, dann spielt das doch nur der rechten Grütze in die Hände. Deshalb, bitte hört mit den ewig gleichen Entschuldigungen auf! Sofort!

    • @98589 (Profil gelöscht):

      Zu Ihrer Frage zur Prozesskostenhilfe schreibt der Flüchtlingsrat BW:

      " Die Betroffenen können

      sich für das Verfahren beim Verwaltungsgericht einen Anwalt nehmen. Ausländerrecht

      und noch mehr das Flüchtlingsrecht ist ein Spezialgebiet. Von daher empfiehlt sich, nur

      dann einen Anwalt zu beauftragen, wenn dieser auf dieses Gebiet spezialisiert ist. Wenn

      sich der/die Asylbewerber/in durch einen Anwalt vertreten lässt, muss er/sie diesen

      grundsätzlich selbst finanzieren. Ein Beratungshilfe-Schein, den man beim Amtsgericht

      beantragen kann, deckt nur ein einmaliges kurzes Beratungsgespräch ab (damit kann

      keine umfassende anwaltliche Vertretung finanziert werden). Für das behördliche

      Verfahren gibt es keine Prozesskostenhilfe (PKH). Für das verwaltungsgerichtliche

      Verfahren kann PKH beantragt werden. Sie wird aber nur gewährt, wenn die Person

      mittellos ist und das Verfahren Erfolgsaussichten hat (s.u.). Solange keine PKH gewährt ist,

      muss der/die Asylsuchenden den Anwalt selbst bezahlen."

       

      Es gibt also Prozesskostenhilfe, aber sie muss auch gewährt werden, und das ist oft nicht der Fall. Es ist schwierig, Prozesskostenhilfe erfolgreich ohne anwaltliche Beratung zu beantragen. Bis diese bewilligt ist, muss der/die Geflüchtete in Vorleistung gehen, das ist für viele nicht einfach, zumal sie nur zwei Wochen Widerspruchsfrist gegen den BAMF-Bescheid haben, wenig Zeit, um einen Anwalt zu finden und Geld aufzutreiben.

      • 9G
        98589 (Profil gelöscht)
        @Kolyma:

        Danke für die Ausführungen!

      • 6G
        60440 (Profil gelöscht)
        @Kolyma:

        Was PKH angeht: Sehr oft wird über diese erst in oder nach der mündlichen Verhandlung entschieden, je nachdem, ob die Klage Erfolg hat oder nicht. Man bekommt als Anwalt dann entweder Recht und PKH bewillgt oder eben beides nicht.

        Im ersteren Fall, also bei Obsiegen, kann der Anwalt seine Kosten und Auslagen direkt beim Bund (oder manchmal beim jeweiligen Bundesland) als Unterlegenem liquidieren (was mehr ist als im Rahmen der PKH) und braucht PKH also gar nicht mehr.

        Ansonsten gehen Anwälte oft leer aus. Denn sie haben Schwierigkeiten ihre Kosten von ihrem im Rechtsstreit unterlegenen Mandanten erstattet zu bekommen. Wozu dem entgangenen Aufenthaltsrecht noch Geld hinterherschmeissen ...

    • 9G
      98589 (Profil gelöscht)
      @98589 (Profil gelöscht):

      Das sollte "Bingener Aussenstelle" heissen.

  • "Der „Skandal“ um die Bremer Außenstelle des Bamf ist nur ein Manöver zur Durchsetzung einer rigideren Flüchtlingspolitik. Von den Vorwürfen bleibt wenig."

     

    Und so etwas geschieht nicht zum ersten Mal in den letzten Jahren.

     

    Vor dem Hintergrund der NS Vergangenheit, die Herr Schäuble in einem Interview mit taz kürzlich ansprach, ist der erste Schritt, um Deutschland vor dem Rechtsruck und sonstigen negativen Entwicklungen der Vergangenheit zu schützen, ist es, offen darüber zu sprechen. In den 30er und 40er Jahren haben Journalisten und Anwälte sehr viel für Deutschland gemacht, auch wenn der Kampf damals verloren wurde und viele Journalisten und Anwälte mit dem eigenem Leben zahlen mussten.

     

    Umso mehr muss man jetzt noch stärker sein! Noch stärker kämpfen, auch wenn mit Worten! Der erste Schritt ist der Anfang. Man lernt zu gehen und geht nach vorne. Man kann verlieren und man kann gewinnen. Wer nicht fällt, der lernt es nie, aufzustehen! Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!