„Zu viele“ Flüchtlinge anerkannt: Der Skandal-Skandal
Der „Skandal“ um die Bremer Bamf-Außenstelle ist ein Manöver für eine rigidere Flüchtlingspolitik. Von den Vorwürfen bleibt wenig übrig.
Immerhin ist das Gerücht, eine Vertreterin der Bundesrepublik hätte ungeprüft, zu Unrecht und massenhaft Flüchtlinge nach Deutschland eingeschleust, nicht neu: Rechtspopulisten hetzen damit seit Jahren – und meinen Angela Merkel. Dass es daneben nun eine Frau im linksverdächtigen Bremen gibt, gegen die die Staatsanwaltschaft tatsächlich wegen „Bestechlichkeit und bandenmäßiger Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung“ ermittelt, passt zum Ressentiment.
Der Innenausschuss des Bundestags tagt in Sondersitzungen. Ein Untersuchungsausschuss kommt wahrscheinlich. In der Debatte aber geht es längst um eine nachträgliche Umdeutung des Willkommens-Sommers 2015 und eine Attacke auf die letzten Reste des humanen Asylgedankens im Grundgesetz – oder dem, was die Ausländerpolitik seit 1993 davon übrig gelassen hat.
„Verdachtsfälle“ betreffen vor allem Jesiden
Doch worauf fußt die Aufregung? Die Bamf-Behördenleiterin Ulrike B. soll Verfahren aus anderen Außenstellen des Bundesamtes an sich gezogen haben, Schutzanliegen schneller durchgewunken, Identitätsüberprüfungen der Flüchtlinge unterlassen haben. Knapp 1.200 Fälle zwischen 2013 und 2016 hält die Staatsanwaltschaft für verdächtig. Meist sollen die Asylsuchenden über bestimmte Anwälte nach Bremen vermittelt worden sein. Es geht vornehmlich um Jesiden aus Syrien und dem Irak.
Kam es in Bremen zu Unregelmäßigkeiten? Wahrscheinlich schon. Aber: Reichen die für einen Skandal? Jesiden, die vor dem Genozid geflüchtet sind, haben einen Anspruch auf Schutz. Verfahren schnell und effektiv abzuarbeiten, waren erklärte Vorgaben der Zentrale in Nürnberg. Hunderttausende Asylanträge hatten sich seit 2015 angestaut. Die Behörde war danach bundesweit im Krisenmodus.
Hinweise darauf, dass Geld zur Bestechung an Ulrike B. geflossen wäre, gibt es bis heute keine. Es waren wohl eher persönliche Motive. B. gilt als eine, die Probleme der Schutzsuchenden nicht kalt ließen. Ihr Anwalt Erich Joester weist alle Vorwürfe zurück. Verfahren seien wegen Überlastung anderer Außenstellen und mit Wissen der Nürnberger Zentrale nach Bremen verlegt worden.
Intrige eines Kollegen?
Er startet den Gegenangriff: Es handele sich um eine Intrige durch einen Kollegen, gegen den Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe erhoben worden seien. Der Verteidiger meldet sich, als es in der Öffentlichkeit längst nur noch um die Konsequenzen geht – der Skandal selbst aber scheint festzustehen.
Was der Öffentlichkeit nicht für Aufruhr sorgte: Dass jedes Jahr Tausende abgelehnte Asylentscheidungen des Bamf von den Gerichten korrigiert werden müssen. Zuletzt klagten vor allem Syrer, die meist nur noch subsidiären Schutz erhielten – seit ihnen mit diesem Status seit Frühjahr 2016 der Familiennachzug verwehrt wird.
So auch in Bremen: Ende 2017 gab es noch rund 2.000 Flüchtlinge, die vor dem Verwaltungsgericht Bremen klagten. 40 Prozent davon aus Syrien. Bei Asylsuchenden aus Syrien und dem Irak war die Schutzquote (also der Anteil, wie vielen der Asylsuchenden aus einem Land Schutz zugesprochen wurde) von 2010 bis 2015 sogar etwas geringer als in manchem anderen Bundesland. Auch zu Ulrike B.s Zeit als Leiterin war das Bamf hier also kein Flüchtlings-Eldorado.
Darin aber, so heißt es nun unter anderem von den Flüchtlingsräten, liege doch der eigentliche Skandal: Dass bundesweit viele Tausend Flüchtlinge eben nicht durch Entscheidungen des Bamf zu ihrem Recht kommen, sondern erst, wenn sie sich einen guten Anwalt leisten und den mühsamen Weg über die Gerichte bestreiten. Und sie sagen, die aktuelle Diskussion diskreditiere die Schutzsuchenden und ihre Fluchtgründe insgesamt. Doch der Appell der Flüchtlings-AktivistInnen läuft weit gehend ins Leere.
Den ganzen Schwerpunkt der taz nord zum konstruierten Skandal beim Bremer Bamf lesen Sie in der taz am wochendende im Kiosk oder hier.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen