Zu Besuch im TTIP-Leseraum: Stocher, stocher
Abgeordnete des Bundestages dürfen TTIP-Dokumente einsehen – werden dabei aber streng überwacht. Ein Ortstermin.
Höhn gehört zu den ersten drei Bundestagsabgeordneten, für die sich die Geheimakte TTIP öffnet. Zumindest die Kapitel des geplanten Freihandelsabkommens zwischen EU und USA, die bereits besprochen wurden, inklusive der US-Position und des Textvorschlags der EU-Kommission. Seit Verhandlungsbeginn vor knapp drei Jahren hat sich Höhn für mehr Transparenz eingesetzt. Sie nennt die Einsicht in die Dokumente einen Etappensieg.
Zur 10-Uhr-Schicht sind auch zwei Abgeordnete der Linksfraktion gekommen. Einer hat eine Dolmetscherin bestellt, die ihm die Texte aus dem Englischen übersetzt. Das Gemurmel stört. „Teilweise habe ich mir die Ohren zugehalten“, sagt sie. „Das ist hier ist keine Strandlektüre, sondern der Vorläufer eines Vertrages. Es geht um völkerrechtliche Formulierungen, da muss man sich schon sehr konzentrieren.“
Der Lesesaal versprüht den spröden Charme eines Klassenzimmers, in das zur Abi-Prüfung gebeten wird. Arbeitstische, Holzstühle, an der Wand ein Schrank mit Ordnern voller Erläuterungen und Wörterbücher. Am Fenster eine Zimmerpflanze. Bis zu acht Abgeordnete oder Mitglieder des Bundesrats können gleichzeitig die Dokumente an den Rechnern lesen. Journalisten oder Vertreter von Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen müssen draußen bleiben. Keiner der Rechner hat eine Internetverbindung. Neue TTIP-Dokumente gehen über eine speziell verschlüsselte Leitung aus Brüssel im Auswärtigen Amt ein. Ein Bote bringt sie in den Lesesaal des Wirtschaftsministeriums.
Zwei Stunden sind drin
Zwei Kapitel hat sich Höhn für heute vorgenommen – 45 Seiten. Aber den Inhalt so zu verstehen, dass sie ihn auch bewerten kann, dauert. Zumal es in diesen Kapiteln noch kaum Einigung zwischen USA und EU gibt. Viele Notizen darf sie nicht machen, schon gar nicht ganze Passagen abschreiben. Verstößt sie gegen die Regeln, drohen ihr strafrechtliche Konsequenzen. Im schlimmsten Fall wird der Lesesaal wieder geschlossen, wenn herauskommt, dass einer vertrauliche Inhalte ausgeplaudert hat.
„Absurd“ nennt Höhn diese Restriktionen: „Solche komplizierten Verträge muss man mit Handels- und Völkerrechtsexperten diskutieren, ansonsten passiert es schnell, dass man Sachverhalte übersieht.“ Sie würde lieber ihre Mitarbeiter in den Lesesaal schicken – haben die doch mehr Zeit als sie. Höhn musste für den Termin im Lesesaal ihr Programm für die Woche komplett umwerfen.
Punkt zwölf machen die Kollegen von der Linksfraktion Schluss. Auch Höhn packt zusammen – mehr als zwei Stunden sind für die Abgeordneten nicht drin. Sie will wiederkommen. Das nächste Mal mit Kopfhörern.
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