Zu Besuch beim Maskentanz: Eine breite Unterlippe riskieren

Die Inuit-Performerin Elisabeth Heilmann Blind teilt ihr Wissen über den traditionellen grönländischen Maskentanz mit anderen. Ein Selbstversuch.

Grönlandische Inuit-Maske.

Elisabeth Heilmamn Blind Foto: Hans Olof Utsi

Berlin taz | Im Westen von Grönland, wo ich herkomme, war der Maskentanz vergessen“, sagt Elisabeth Heilmann Blind, „nur im Osten hatte er sich erhalten.“ Wegen des dichten Packeises, das das Land umschließt, hätten dort keine Missionare landen können – wohl aber an den Küsten im Westen, die an offenes Wasser grenzen. Deshalb heißt Elisabeth Heilmann Blind so, wie sie heißt, denn mit der Christianisierung wurden den getauften Inuit deutsche Namen verliehen. Den Maskentanz ihrer Vorfahren, erzählt Elisabeth, habe sie tatsächlich erst kennengelernt, als sie in Dänemark Schauspiel studierte – eine seltsame Ironie der Kolonisa­tionsgeschichte.

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Und jetzt tut die Performerin alles dafür, dass die wiederentdeckte Tradition lebendig bleibt, und trägt sie in die Welt. Mittlerweile lebt sie schon lange im Norden Schwedens, arbeitet dort viel mit Sami-KünstlerInnen zusammen und gibt Maskentanz-Performances und -Workshops, wo immer es sie hinträgt. Nun also auch nach Berlin. Für einen dreistündigen Workshop in grönländischem Maskentanz (auf Inuit: Uaajeerneq) haben sich acht Neugierige im Kulturzentrum Oyoun in Berlin-Neukölln eingefunden. Die Veranstaltung ist Teil der laufenden Reihe „Sea Behind the Wall“, die sich mit der Kultur der Sami beschäftigt.

Zu Beginn verteilt Elisabeth kleine, etwas zehn Zentimeter lange Stöckchen an die TeilnehmerInnen. Die müsse man in den Mund stecken, erklärt sie, quer vorne in die Unterlippe – und demonstriert es. Der Effekt ist immens: Gruselig sieht sie aus und gleichzeitig komisch. Das ist ein Gegensatz, der, wie wir lernen werden, im Maskentanz grundlegend zum Konzept gehört.

Arbeit am Stöckchen

Konzentriert arbeiten wir an unseren Stöckchen, schneiden sie so zu, dass sie mit etwas gutem Willen gerade so vor die untere Zahnreihe passen, und probieren vor dem Spiegel Gesichter. Leider, sagt Elisabeth, sei nicht genug Zeit zum Schminken. Die komplette „Maske“, die direkt aufs Gesicht aufgetragen wird, bleibt heute also nur angedeutet.

In den Videos, die sie uns zeigt, bevor wir selbst in Aktion gehen dürfen, sehen wir sie in voller Bemalung: Schwarz, Weiß und Rot sind die Farben der Maske. „Jede Tänzerin und jeder Tänzer“, lese ich später auf Elisabeths Website, „hat ihre oder seine eigene spezielle Maske, die über lange Zeit entwickelt wird. Schwarz symbolisiert das Unbekannte und Magische, Rot steht für das Leben und Weiß für die Reinheit.“ Ähnlich wie der japanische Butoh-Tanz, mit dem Elisabeth sich ebenfalls lange beschäftigt hat, ist der grönländische Maskentanz eigentlich eine Form des Schauspiels. Musik passt gut dazu, es geht aber auch ohne.

Wir probieren erste eigene Schritte: „Be grounded“, lautet die erste Lektion. Die Grund­position besteht darin, mit beiden Füßen allzeit einen breitbeinigen, festen Stand zu haben, die Knie leicht gebeugt und das Becken gerade zu halten. Yogaerfahrung kann dabei hilfreich sein. „Die Augen groß“, ruft Elisabeth, „und immer weit offen!“ Die Arme dürfen nicht herabhängen, sondern müssen in Spannung sein, sollen raumgreifend agieren können. „Der Maskentanz hat meine Vorfahren gerettet“, sagt Elisabeth.

Angst, Erotik und Komik

In den langen Wintermonaten, der ewigen Dunkelheit und Kälte, hätten die Menschen etwas gebraucht, das sie durchhalten ließ. Der Maskentanz, ursprünglich als eine Art Begleitprogramm schamanistischer Seancen entstanden, entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem eigenständigen Unterhaltungsritual.

Die tanzende Person agiert, so lernen wir, zwischen drei Hauptelementen: Angst, Erotik und Komik. Dazu kommen drei Dimensionen: die menschliche, die tierische und die geistige Sphäre. Wir erkunden die Elemente eines nach dem anderen in der Gruppe.

Danach verteilt Elisabeth Bindfäden, mit denen wir uns die Nasen hochbinden, was den Verfremdungseffekt noch verstärkt. Zum Schluss müssen alle paarweise vor der Gruppe performen. Da echte SchauspielerInnen unter uns sind, gibt es großartige Einzelleistungen. Und die beiden teilnehmenden Journalistinnen trauen sich natürlich erst als Allerletzte nach vorne. Katharina Granzin

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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