Ziviler Ungehorsam für das Klima: Kein Familienevent
In der Lausitz und im Leipziger Land besetzte das Bündnis „Ende Gelände“ erneut Tagebaue und Bahnanlagen. Was treibt die Aktivist:innen an?
Es ist fünf Uhr morgens im Warteraum eines Bahnhofs in Dresden. Neben schlafenden Clubgängern sammeln sich unübliche Gäste: Klimaaktivist:innen mit Wanderrucksäcken und Isomatten auf den Schultern, die angespannte Blicke wechseln. Wohin sie heute ziehen, weiß keiner genau, aber jeder von ihnen stellt sich auf ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Einsatzkräften der Polizei ein.
Seit 2015 sorgt „Ende Gelände“ regelmäßig für Schlagzeilen. Mit mehreren tausend Teilnehmer:innen besetzte das Aktionsbündnis Tagebaue, Kraftwerke oder Bahntrassen. Im vergangenen Jahr protestierte „Ende Gelände“ gegen die Rodung des Hambacher Forsts, dieses Jahr zog es die Aktivist:innen in den Osten der Republik – die Lausitz. Ihr Ziel: den Kohleabbau stoppen. Für Sina Reisch, Pressesprecherin von „Ende Gelände“, steht aber noch mehr hinter den Aktionen: „Wenn ich mit meinem eigenen Körper eine Unrechtssituation verhindert habe, das macht etwas mit mir.“ Die Aktionen würden zur demokratischen Bildung beitragen, so Reisch. Mit den Besetzungen habe Ende Gelände es geschafft, das Thema in die Medien zu bringen, das Wort Kohleausstieg etwa sei erst durch die Bewegung im öffentlichen Bewusstsein angekommen.
Ankunft in Brandenburg. Hunderte Kohlegegner:innen strömen aus dem überfüllten Regionalzug in Maleranzügen und Staubmasken. Sie laufen durch den verschlafenen Landstrich an der Spree südöstlich von Cottbus vorbei an menschenleeren Auenlandschaften und einem verlassenen Flugplatz. Bunte Rauchschwaden von Pyrofackeln tauchen die Lausitzer Wälder in gespenstischen Nebel. Erst kurz vor dem Ziel wird klar, wohin die Reise geht: Auf Kommando stürmen hunderte Protestierende die Bahngleise der Lausitzer Kohlebahn. Stundenlang werde sie dort ausharren.
Gefahr in der Luft
Und wie der beißende Pulvergeruch der Pyrotechnik liegt auch die Gefahr in der Luft, verhaftet zu werden. Ende Gelände setzt auf zivilen Ungehorsam. Den Boden der Legalität zu verlassen, liegt für das Bündnis in der Natur der Dinge. Sina Reisch nennt es „Vergemeinschaftung mit unseren Körpern“. Es sei extrem wichtig, Regeln zu brechen, wenn sie „Quatsch“ seien, fügt sie an. Viele der Anti-Kohle-Aktivist:innen mussten den Preis für diese „Vergemeinschaftung“ schon vor Gericht zahlen.
Dieser Text entstand im Rahmen des taz Panter Workshops „Klima retten“. Die vier Sonderseiten
.Die Klima-Aktionen von „Ende Gelände“ sind keine mainstreamtauglichen Familienevents. Wörter wie „Enteignung“ dürften einigen AkteurInnen bei Bewegungen wie Fridays for Future sauer aufstoßen. Trotzdem müsse man „auch mit Unterschiedlichkeiten zusammenarbeiten“, betont Sina Reisch. Schließlich wirke man auch in die Bewegung hinein und Fridays for Future ist in ihren Augen eine jener Massenbewegungen, auf die sie noch vor wenigen Jahren nur hoffen konnten. Ende Gelände – die linke Avantgarde der Klimabewegung?
4.000 Klimaaktivist*innen haben in der Lausitz und im Leipziger Revier Kohlegruben blockiert. Trotz Demoverboten, feindlichen Anwohnern sowie drohenden Nazis und Polizisten war die Aktion für die Bewegung ein voller Erfolg. Wie ist das gelungen? Interview mit Ende Gelände-Sprecherin Nike Mahlhaus im taz Podcast Lokalrunde - das Stadtgespräch aus Hamburg und Berlin.
Vor Ort halten sich die Sympathiebekundungen für die Kohlegegner:innen in Grenzen. Aus Koppatz, einem 200-Einwohner-Ort direkt nebenan, kommen einige schaulustige Bewohner an die Gleise. Es ist nicht das erste Mal, dass die Aktivisti:innen von Ende Gelände hier sind. Schon 2016 gab es eine Aktion in der Lausitz. Die Koppatzer beschweren sich: Die Demonstrat:innen würden nur Gewalt bringen, meinen die Dorfbewohner. „Für die Idioten braucht man künstliche Intelligenz!“, sagt einer zornig.
Gerüchte kursieren über Sabotageaktionen, die Kohlegegner:innen hätten versucht, Züge entgleisen zu lassen. Belege für die Verdächtigungen sucht man vergebens. Aber sie sind ein Hinweis darauf, wie sehr sich viele Bürger:innen vor Ort gegen Ende Gelände sträuben. Die Region hängt wirtschaftlich am schmutzigen Brennstoff Kohle, frisch noch sind die Erinnerungen an die Umwälzungen nach der Wiedervereinigung – und schmerzlich.
Wie also zugehen auf die Menschen in den Kohlerevieren? Eine Frage, auf die auch Ende Gelände keine abschließende Antwort hat. In einem offenen Brief an die Arbeiter:innen der Kohleindustrie heißt es: „Auch wir wollen nicht, dass die Lausitz ein weiteres Mal abgehängt wird“, die Region könne „mehr als nur Kohle“. Ein Gesprächsangebot? Fraglich ob, die Lausitzer darauf eingehen werden. Die Fronten sind verhärtet.
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